Cryptonomicon
als Erstes auf seine Schuhe, denn aus irgendeinem Grund ist er überzeugt, dass er bis zu den Knien im nassen Sand versunken ist. Doch seine Schuhe hinterlassen kaum einen Abdruck in dem stark verdichteten Sand.
Eine große Welle schlägt um zu einer schaumigen Fläche, die den Strand hinaufgleitet und sich um seine Füße herum teilt.
»Gollum«, sagt Randy.
»War das eine Äußerung oder irgendein flüchtiges physiologisches Phänomen?« fragt Avi.
»Gollum. Andrew ist Gollum.«
»Und Gollum verklagt uns gerade.«
»Uns, das heißt, dich und mich?«, fragt Randy. Er braucht ungefähr eine Minute, um diese Worte über die Zunge zu bringen. »Verklagt er uns wegen der Spielefirma?«
Avi lacht.
»Ist durchaus möglich!«, beharrt Randy. »Chester hat mir erzählt, dass die Spielefirma jetzt in etwa die Größe von Microsoft hat.«
»Andrew Loeb hat eine Klage der Minderheitsaktionäre gegen den Vorstand der Epiphyte(2) Corporation eingereicht«, erklärt Avi.
Randys Körper hat jetzt endlich Zeit gehabt, eine vollendete Kampf-oder-Flucht-Haltung einzunehmen – ein Teil seines genetischen Erbes als gewaltiger Fiesling. Das war sicher von Vorteil, als Säbelzahntiger versuchten, sich unter Einsatz ihrer Krallen Zutritt zu den Höhlen seiner Vorfahren zu verschaffen, aber unter diesen Umständen nützt es ihm absolut nichts.
»In wessen Namen?«
»Jetzt mach aber einen Punkt, Randy. So viele Kandidaten gibt’s doch da gar nicht.«
»Springboard Capital?«
»Du hast mir selbst erzählt, dass Andrews Vater ein Orange-County-Nobelanwalt ist. Was meinst du wohl, wo so jemand typischerweise sein Geld für die Altersvorsorge anlegt?«
»Ach du Scheiße!«
»Genau. Bob Loeb, Andrews Vater, war schon sehr früh bei AVCLA. Er und der Dentist haben sich ungefähr zwanzig Jahre lang gegenseitig Weihnachtskarten geschickt. Und als sein idiotischer Sohn sein Jurastudium beendet hatte, rief Bob Loeb, der genau wusste, dass niemand sonst einen solchen Spinner wie seinen Sohn einstellen würde, bei Dr. Hubert Kepler an und seitdem arbeitet Andrew für ihn.«
»Scheiße. Scheiße!«, flucht Randy. »Die ganzen Jahre über. Wasser getreten.«
»Wie das?«
»Diese Zeit in Seattle – während des Prozesses – war ein verdammter Albtraum. Am Ende war ich völlig pleite, ohne Haus, ohne irgendetwas außer einer Freundin und UNIX-Kenntnissen.«
»Das ist doch schon was«, sagt Avi. »Normalerweise schließt sich das gegenseitig aus.«
»Halt die Klappe«, sagt Randy. »Ich versuche gerade zu verzweifeln.
»Also ich finde, Verzweiflung ist etwas so grundsätzlich Jämmerliches, dass es schon wieder komisch ist«, sagt Avi. »Aber sprich doch weiter.«
»Jetzt, nach all den Jahren – der ganzen verdammten Arbeit – bin ich wieder genau da, wo ich angefangen habe. Ein Vermögen von Null. Nur dass ich dieses Mal streng genommen nicht mal eine Freundin habe.«
»Also erst mal«, sagt Avi, »finde ich es besser, Amy haben zu wollen als Charlene tatsächlich zu haben.«
»Autsch! Du bist ganz schön grausam.«
»Manchmal ist es besser zu wollen als zu haben.«
»Wie schön für mich«, sagt Randy heiter, »schließlich -«
»Sieh dir Chester an. Möchtest du mit Chester tauschen?«
»Okay, okay.«
»Außerdem hast du eine beträchtliche Menge an Aktien von Epiphyte, die, davon bin ich überzeugt, einiges wert sind.«
»Das hängt alles von dem Prozess ab, oder?« sagt Randy. »Hast du eigentlich irgendwelche Unterlagen gesehen?«
»Natürlich«, antwortet Avi verärgert. »Ich bin Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender der verdammten Firma.«
»Was hat er denn eigentlich zu meckern? Was ist der Vorwand für die Klage?«
»Anscheinend ist der Dentist davon überzeugt, dass Semper Marine im Zuge der Arbeit, die sie für uns gemacht haben, über irgendeinen gewaltigen versunkenen Goldschatz aus dem Krieg gestolpert sind.«
»Weiß er das oder vermutet er es?«
»Na ja«, antwortet Randy, »aus dem, was ich so zwischen den Zeilen lese, schließe ich, dass er es nur vermutet. Warum fragst du?«
»Kümmere dich erst mal nicht darum – ist er denn jetzt auch hinter Semper Marine her?«
»Nein! Das würde die Klage gegen Epiphyte ausschließen.«
»Wie meinst du das?«
»Er behauptet, dass wir, wenn Epiphyte kompetent geführt worden wäre – wenn wir die erforderliche Sorgfalt hätten walten lassen – einen viel umfassenderen Vertrag mit Semper Marine aufgesetzt hätten, als wir es tatsächlich getan
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