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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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und schüttelt den Kopf. »Nein, das wollen Sie nicht«, sagt er kategorisch.
    »Was?«
    »Sie wollen Glory nicht sehen.«
    »Wie können Sie das sagen? Sie haben Sie wohl nicht mehr alle!«
    Das Gesicht des Lieutenants wird steinern. »Na schön«, sagt er, »ich werde nachfragen. Vielleicht kommt Glory sie hier besuchen.«
    »Das ist doch verrückt. Es ist viel zu gefährlich.«
    Der Lieutenant lacht. »Nein, jetzt verstehen Sie nicht«, sagt er. »Sie sind ein Weißer in einer Provinzstadt auf den Philippinen, die von hungernden, übergeschnappten Nips besetzt ist. Sie können sich unmöglich draußen blicken lassen. Unmöglich. Glory dagegen kann sich frei bewegen.«
    »Sie haben gesagt, die Nips halten die Leute praktisch an jeder Kreuzung an.«
    »Glory werden sie nicht behelligen.«
    »Kommt es eigentlich vor, dass die Nips – Sie wissen schon – Frauen belästigen?«
    »Ah. Sie machen sich Sorgen, dass Glory vergewaltigt wird.« Wieder nimmt der Lieutenant einen langen Zug von seiner Zigarette. »Ich kann Ihnen versichern, dass das nicht passieren wird.« Des Gesprächs überdrüssig, steht er auf. »Warten Sie hier«, sagt er. »Sammeln Sie Kraft für die Schlacht um Manila.«
    Er geht hinaus und Shaftoe bleibt frustrierter denn je zurück.
    Zwei Tage später rüttelt der Besitzer des Bootshauses, der sehr wenig Englisch spricht, Shaftoe vor Sonnenaufgang wach. Er bedeutet ihm, in ein kleines Boot zu steigen, und rudert ihn auf den See hinaus, dann eine halbe Meile am Ufer entlang auf eine Sandbank zu. Eben bricht auf der anderen Seite des Sees die Morgendämmerung an und beleuchtet planetengroße Kumuluswolken. Es ist, als würde an einem Himmel, der von den Kondensstreifen amerikanischer Flugzeuge auf Morgenpatrouille in riesige Trapezoide aufgeteilt wird, der Welt größtes Treibstofflager in die Luft gejagt.
    Glory kommt auf die Sandbank herausspaziert. Er kann ihr Gesicht nicht sehen, weil sie den Kopf in ein Seidentuch gehüllt hat, aber die Form ihres Körpers würde er überall erkennen. Sie geht am Ufer hin und her, lässt sich vom warmen Wasser des Sees die Füße benetzen. Der Sonnenaufgang hat es ihr offenbar schwer angetan – sie wendet, damit sie ihn genießen kann, Shaftoe weiter den Rücken zu. Wie kokett. Shaftoe wird hart wie ein Ruder. Er klopft sich auf die Gesäßtasche, vergewissert sich, dass er reichlich mit ICH KOMME WIEDER-KONDOMEN versorgt ist. Das wird knifflig, sich in Anwesenheit des alten Knackers hier mit Glory auf der Sandbank hinzulegen, aber vielleicht kann er dem Burschen ja was dafür geben, dass er eine Stunde lang woanders seinen Rücken trainiert.
    Der Alte schaut immer wieder über seine Schulter, um die Entfernung bis zur Sandbank abzuschätzen. Als sie noch ungefähr eine Steinwurfweite davon entfernt sind, richtet er sich auf und legt die Riemen ein. Sie treiben noch ein paar Meter und kommen dann zum Stehen.
    »Was machst du denn da?«, fragt Shaftoe. Dann stößt er einen Seufzer aus. »Willst du Geld?« Er reibt Daumen und Zeigefinger aneinander. »Was? Das hier?«
    Aber der Alte starrt ihm bloß ins Gesicht, mit einem Ausdruck, wie ihn Shaftoe so hart und steinern auf hundert Schlachtfeldern in der ganzen Welt gesehen hat. Er wartet, bis Shaftoe den Mund hält, dann legt er den Kopf schräg und ruckt ihn nach hinten in Richtung Glory.
    Shaftoe blickt zu Glory auf, als sie sich gerade zu ihm umdreht. Mit knüppelähnlichen Händen, die wie bei einer Mumie vollständig mit langen Stoffstreifen umwickelt sind, greift sie nach oben und tatscht sich das Tuch vom Gesicht.
    Oder dem, was einmal ein Gesicht war. Nun ist es nur noch die Vorderseite ihres Schädels.
    Bobby Shaftoe holt tief Atem und stößt einen Schrei aus, der wahrscheinlich noch in der Innenstadt von Manila zu hören ist.
    Der Bootsführer wirft einen bangen Blick zur Stadt hinüber, dann steht er auf und verdeckt Shaftoe die Sicht, während dieser erneut Atem holt. Der Alte hat eines der Ruder in den Händen. Shaftoe hat gerade zu einem neuerlichen Schrei angesetzt, als ihn das Ruder seitlich am Kopf trifft.

DAS HAUPTLAGER
    Die Sonne hat entlang der malayischen Halbinsel ein paar hundert Kilometer weiter westlich mit einer langen Gleitspur eine Bruchlandung hingelegt, ist aufgeplatzt und hat dabei ihren thermonuklearen Brennstoff über den halben Horizont verspritzt und eine Wand aus lachs- und magentafarbenen Wolken hochgezogen, die einen tiefen Riss durch die ganze Erdatmosphäre getrieben

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