Cryptonomicon
zurückziehen und setzen den Verwundeten ab. Ein paar Momente später taucht, in wilder Jagd, ein Trio japanischer Soldaten auf. Shaftoe hat genügend Zeit gehabt, die Situation zu durchdenken, und lässt sie ein paar Schritte in die Gasse hereinkommen. Dann töten er und die Huks sie lautlos, mit Messern. Bis man ihnen Verstärkungen nachgeschickt hat, sind Shaftoe und seine Gruppe schon in den Gassen von Ermita verschwunden, die an vielen Stellen rot überströmt sind vom Blut ermordeter philippinischer Männer und Knaben.
GEFANGENSCHAFT
»Jemand versucht, Ihnen eine Botschaft zu schicken«, sagt Rechtsanwalt Alejandro, nur wenige Minuten nach Beginn des ersten Gesprächs mit seinem neuen Mandanten.
Damit hat Randy schon gerechnet. »Warum haben hier alle so eine schrecklich umständliche Art, mir Botschaften zu schicken? Gibt es hier keine E-Mail?«
Die Philippinen sind eins jener Länder, in denen »Rechtsanwalt« wie ein Titel benutzt wird, ähnlich dem »Doktor«. Rechtsanwalt Alejandro hat eine nach hinten gekämmte graue Pompadourfrisur, die unten im Nacken ein bisschen lockig wird, was ihm, wie er vermutlich genau weiß, in gewisser Hinsicht das distinguierte Aussehen eines Staatsmanns aus dem neunzehnten Jahrhundert verleiht. Er raucht viel, was Randy nicht im mindesten stört, denn in den letzten Tagen hat er sich an Orten aufgehalten, wo jeder raucht. Im Gefängnis braucht man sich nicht mal um Zigaretten und Streichhölzer zu kümmern. Einatmen genügt, und schon bekommt man seine Tagesration von ein bis zwei Packungen an leicht vorgewärmtem Teer und Nikotin.
Rechtsanwalt Alejandro beschließt, sich so zu verhalten, als habe Randy diese letzte Bemerkung gar nicht gemacht. Er widmet sich kurz seiner Zigarette. Wenn er möchte, dass sie brennend zwischen seinen Lippen steckt, kann er das bewerkstelligen, ohne sie auch nur mit den Händen zu berühren; plötzlich ist sie einfach da, als hätte er sie, bereits angezündet, im Mund versteckt gehabt. Muss er jedoch im Gespräch eine Zäsur herbeiführen, kann er Auswahl, Vorbereitung und Anzünden einer Zigarette zu einem Ritual ausgestalten, dessen Feierlichkeit schon fast an Cha NoYu , die japanische Teezeremonie, heranreicht. Im Gerichtssaal muss es sie schier zum Wahnsinn treiben. Randy geht es schon besser.
»Was, glauben Sie, besagt die Botschaft? Dass sie mich töten können, wenn sie wollen? Das weiß ich sowieso schon.Verdammte Scheiße! Was kostet es in Manila, einen Menschen umbringen zu lassen?«
Rechtsanwalt Alejandro runzelt grimmig die Stirn. Diese Frage hat er in den falschen Hals gekriegt: als Vermutung, er sei jemand, der so etwas wüsste. Angesichts der Tatsache, dass er von Douglas MacArthur Shaftoe persönlich empfohlen wurde, kann man natürlich davon ausgehen, dass er wirklich so jemand ist, aber das offen anzusprechen ist vermutlich nicht sehr fein. »Ihre Fantasie geht mit Ihnen durch«, sagt er. »Sie messen der Sache mit der Todesstrafe viel zu viel Bedeutung bei.« Wie Rechtsanwalt Alejandro vermutlich erwartet hat, macht diese Zurschaustellung von Unbekümmertheit sein Gegenüber so lange sprachlos, dass er, während er mit Zigarette und einem Edelstahlfeuerzeug hantiert, auf dem militärische Symbole prangen, einen weiteren Spruch an den Mann bringen kann. Rechtsanwalt Alejandro hat schon zwei Mal erwähnt, dass er Oberst in der Armee war und jahrelang in den Staaten gelebt hat. »Nach einer Pause von ungefähr zehn Jahren haben wir die Todesstrafe’95 wieder eingeführt.« Die Worte knistern und zischen aus seinem Mund wie Funken von einer Tesla-Spule. Die Filipinos haben eine bessere Aussprache als die Amerikaner, und das wissen sie auch.
Randy und Alejandro befinden sich in einem hohen, schmalen Raum irgendwo zwischen dem Gefängnis und dem Gericht in Makati. Für ein paar Minuten lungerte ein vor lauter Verlegenheit in sich zusammengekauerter Gefängniswärter bei ihnen herum und verließ den Raum erst, als Rechtsanwalt Alejandro zu ihm hinüber ging, in leisem, väterlichem Ton mit ihm sprach und ihm etwas in die Hand drückte. Ein Fenster steht offen und von der zwei Stockwerke unter ihnen liegenden Straße dringt der Lärm von Autohupen herauf. Randy erwartet fast, dass Doug Shaftoe und seine Männer sich vom Dach abseilen, plötzlich in einem glitzernden und prasselnden Schauer von zerbrochenem Fensterglas hereingesaust kommen und Randy entführen, während Rechtsanwalt Alejandro sein ganzes Gewicht gegen den
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