Cryptonomicon
Art von Dünkirchen im Gange, aber die Anzahl der Boote reicht nicht aus. Einige der Flüchtlinge benehmen sich wie zivilisierte Menschen, andere dagegen versuchen sich vorzudrängen und waten und schwimmen auf die Boote zu. Eine nasse Hand langt aus dem Wasser und hält sich am Dollbord des Bootes fest, bis Shaftoe sie mit dem Schaft seiner Bleispritze zermalmt. Der Schwimmer fällt ins Wasser zurück, umklammert brüllend seine Hand und Shaftoe sagt ihm, dass er hässlich ist.
Es folgt ungefähr eine halbe Stunde weiterer Hässlichkeiten, während das Boot knapp außerhalb der Reichweite der Schwimmer hin und her fährt und der Padre ein Grüppchen von Frauen mit kleinen Kindern zusammenstellt. Sie werden eine nach der anderen ins Boot gezogen, während die Huks einer nach dem anderen aussteigen, und als das Ganze abgeschlossen ist, wendet das Boot und gleitet in die Dunkelheit davon. Shaftoe und die Huks waten an Land, zwischen sich Munitionskisten. Mittlerweile ist Shaftoe am ganzen Leib mit Granaten behängt, die wie die Zitzen einer trächtigen Sau anmuten, und die meisten Huks gehen ganz langsam und steifbeinig, um nicht unter dem Gewicht der Schultergurte zusammenzuklappen, mit denen sie praktisch wie Mumien umwickelt sind. So wanken sie, gegen eine Woge rauchgeschwärzter Flüchtlinge ankämpfend, in die Stadt.
Das Flachland entlang dem Seeufer ist nicht die eigentliche Stadt – es ist ein Vorort aus bescheidenen Gebäuden, die auf traditionelle Weise, nämlich aus geflochtenen Rattan-Elementen und Strohdächern, errichtet sind. Sie brennen wie Zunder und werfen die roten Flammenwände auf, die Shaftoe und die Huks vom Boot aus gesehen haben.Weiter landeinwärts, ein paar Kilometer nach Norden, liegt die eigentliche Stadt mit vielen Gebäuden aus Mauerwerk. Die Japaner haben sie ebenfalls angesteckt, aber sie brennt nur hier und da, in vereinzelten Flammen- und Rauchtürmen.
Shaftoe und sein Trupp haben damit gerechnet, den Strand wie Marines stürmen zu müssen und gleich am Ufer niedergemäht zu werden. Stattdessen marschieren sie gut zwei Kilometer landeinwärts, ehe sie den Feind überhaupt zu Gesicht bekommen.
Shaftoe ist regelrecht froh darüber, ein paar echte Nips zu sehen; er ist schon nervös geworden, weil der fehlende Widerstand die Huks leichtfertig und übermütig gemacht hat. Dann drängen ein halbes Dutzend japanische Luftwaffensoldaten aus einem Laden, den sie offenbar geplündert haben – sie haben allesamt Schnapsflaschen in den Händen – und bleiben auf dem Bürgersteig stehen, um mit Molotow-Cocktails, die sie aus gestohlenen Feuerwasser-Flaschen herstellen, das Haus anzustecken. Shaftoe zieht den Stift einer Granate, wirft sie mit weichem Schwung den Bürgersteig entlang, sieht ihr kurz nach, wie sie darüber kullert, und drückt sich dann in einen Eingang. Als er die Explosion hört und die Windschutzscheibe eines am Straßenrand geparkten Wagens unter dem Einschlag der Splitter zu Bruch gehen sieht, macht er einen Satz auf den Bürgersteig, bereit, mit der Maschinenpistole das Feuer zu eröffnen. Aber das ist nicht nötig. Sämtliche Nips liegen am Boden, zucken nur noch schwächlich im Rinnstein. Shaftoe und die anderen Huks nehmen Deckung, warten darauf, dass weitere japanische Soldaten auftauchen und ihren verwundeten Kameraden helfen, aber es kommt niemand.
Die Huks sind begeistert. Shaftoe steht vor sich hin brütend auf der Straße, während der Padre den toten und sterbenden Japanern die letzte Ölung erteilt. Offenbar ist die Disziplin völlig zusammengebrochen. Die Nips wissen, dass sie in der Falle sitzen. Sie wissen, dass MacArthur im Begriff steht, sie mit der Gewalt eines Rasenmähers, der durch einen Ameisenhaufen pflügt, zu überrollen. Sie sind zur marodierenden Horde geworden. Für Shaftoe wird es leichter sein, gegen Haufen betrunkener, heruntergekommener Plünderer zu kämpfen, aber was sie den Zivilisten weiter nördlich antun, ist nicht abzusehen.
»Scheiße, wir verschwenden unsere Zeit«, sagt Shaftoe, »gehen wir nach Malate und vermeiden wir weitere Gefechte.«
»Sie haben nicht das Kommando über diese Gruppe«, sagt einer der anderen. »Sondern ich.«
»Wer bist du denn?«, fragt Shaftoe und kneift zum Schutz gegen das Licht des brennenden Schnapsladens die Augen zusammen.
Wie sich herausstellt, ist es ein fil-amerikanischer Lieutenant, der sich bislang in keiner Weise nützlich gemacht hat. Shaftoe spürt instinktiv, dass der Kerl kein guter
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