Cryptonomicon
Wohnblock von einem Brisanzgeschoss nach dem anderen systematisch in Schutt gelegt wird.
Niemand kommt herausgelaufen; zwischen den Explosionen ist keinerlei Geschrei oder Geheul zu hören. Das Gebäude ist menschenleer.
Sie schlagen die verrammelte Tür einer Drogerie auf der anderen Straßenseite ein und unterhalten sich kurz mit den einzigen überlebenden Bewohnern: einer fünfundsiebzigjährigen Frau und einem sechsjährigen Jungen. Die Japaner seien vor zwei Tagen durch das Viertel gekommen, sagt sie, und nordwärts, Richtung Intramuros, weitergezogen. Sie hätten die Frauen und Kinder aus den Gebäuden herausgetrieben und in eine bestimmte Richtung marschieren lassen. Sie hätten sämtliche Männer und Jungen ab einem bestimmten Alter herausgeholt und sie in eine andere Richtung marschieren lassen. Sie und ihr Enkel hätten sich in einem Schrank versteckt und seien so entkommen.
Shaftoe und sein Trupp treten aus der Drogerie auf die Straße hinaus und lassen den Padre zurück, damit er ein paar himmlische Wege ebnet. Fünfzehn Sekunden später werden zwei Mann von den Splittern einer Granate getötet, die ganz in der Nähe über der Straße detoniert. Der Rest des Trupps gerät im Zurückweichen geradewegs in eine Gruppe marodierender japanischer Nachzügler und es folgt ein vollkommen irrsinniges Feuergefecht auf kürzeste Entfernung. Von ihrer Bewaffnung her sind Shaftoes Leute den Nips weit überlegen, aber die Hälfte davon ist viel zu verblüfft zum Kämpfen. Sie sind an den Dschungel gewöhnt. Einige sind noch nie in der Stadt gewesen, nicht einmal in Friedenszeiten, und stehen einfach mit offenem Mund herum. Shaftoe duckt sich in einen Eingang und veranstaltet mit seiner Bleispritze einen Mordskrach. Die Nips fangen an, mit Granaten um sich zu werfen, als wären es Knallfrösche, und fügen sich selbst damit ebenso viel Schaden zu wie den Huks. Das Gefecht verläuft lächerlich wirr und endet im Grunde erst, als eine weitere Artilleriegranate heranrauscht, mehrere Nips tötet und den Rest so benommen zurücklässt, dass Shaftoe ins Freie heraustreten und sie mit Schüssen aus seiner Colt-Pistole erledigen kann.
Sie schleppen zwei ihrer Verwundeten in die Drogerie und lassen sie dort. Ein Mann ist tot. Damit besteht ihr Zug nur noch aus fünf Kämpfern und einem zunehmend beschäftigten Padre. Das Feuergefecht hat einen neuerlichen Hagel von Splittergranaten ausgelöst, sodass es am vernünftigsten ist, sich einen Keller zu suchen, in dem sie sich für den Rest des Tages verkriechen und etwas schlafen können.
Shaftoe schläft kaum und so nimmt er bei Anbruch der Nacht ein paar Benzedrin-Tabletten, spritzt sich, um die Wirkung etwas zu dämpfen, ein bisschen Morphium und führt seinen Trupp auf die Straße hinaus. Das nächste Viertel in nördlicher Richtung heißt Ermita. Dort liegen viele Hotels. Nach Ermita kommt Rizal Park. Am Nordrand von Rizal Park erheben sich die Mauern von Intramuros. Hinter Intramuros verläuft der Pasig River, an dessen anderem Ufer MacArthur steht. Wenn Shaftoes Sohn und die anderen Altamiras noch am Leben sind, müssen sie sich somit irgendwo auf den paar Kilometern zwischen hier und Fort Santiago, am Südufer des Pasig, befinden.
Kurz nachdem sie nach Ermita übergewechselt sind, stoßen sie auf ein Blutrinnsal, das aus einem Eingang quer über den Bürgersteig in die Gosse läuft. Sie schlagen die Tür des Gebäudes ein und stellen fest, dass das Erdgeschoss mit den Leichen philippinischer Männer – insgesamt mehrere Dutzend – gefüllt ist. Alle sind mit Bajonetten erstochen worden. Einer lebt noch. Shaftoe und die Huks tragen ihn auf den Bürgersteig hinaus und sehen sich nach einem Platz für ihn um, während der Padre die Runde durch das Haus macht und dabei jede Leiche kurz berührt und etwas auf Lateinisch murmelt. Als er wieder herauskommt, ist er von den Knien abwärts blutbeschmiert.
»Irgendwelche Frauen? Kinder?«, fragt ihn Shaftoe. Der Padre schüttelt verneinend den Kopf.
Sie sind nur ein paar Straßen vom Philippine General Hospital entfernt, deshalb tragen sie den Verwundeten in diese Richtung. Als sie um die Ecke biegen, sehen sie, dass die Krankenhausgebäude von MacArthurs Artillerie halb zerstört worden sind und der Boden mit Menschen bedeckt ist, die man auf Laken gelegt hat. Dann wird ihnen bewusst, dass die Männer, die mit Gewehren in den Händen auf dem Gelände umhergehen, japanische Soldaten sind. Sie müssen sich rasch in eine Gasse
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