Cryptonomicon
warten sie für den Fall, dass sich in diesem Jahr ein Wunder ereignet. Wir sind ein sehr religiöses Volk – sogar unter den Todeskandidaten gibt es einige, die sehr religiös sind. Aber jetzt flehen sie darum, hingerichtet zu werden. Sie können das Warten nicht mehr ertragen!« Rechtsanwalt Alejandro lacht und schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. »Nun, Randy, diese zweihunderfünfzig Leute sind alle arm. Allesamt.« Er macht eine bedeutungsvolle Pause.
»Und wenn schon«, sagt Randy. »Haben Sie übrigens gewusst, dass mein Reinvermögen sich auf weniger als null beläuft?«
»Ja, aber Sie sind reich an Freunden und Beziehungen.« Rechtsanwalt Alejandro fängt an, sich selbst zu filzen. In einer Gedankenblase über seinem Kopf taucht das Bild einer neuen Marlboropackung auf. »Ich habe vor kurzem einen Anruf von einem Ihrer Freunde in Seattle bekommen.«
»Chester?«
»Genau der. Er hat Geld.«
»Das kann man wohl sagen.«
»Chester sucht nach Wegen, seine finanziellen Mittel zu Ihren Gunsten arbeiten zu lassen. Er fühlt sich frustriert und unsicher, denn er verfügt zwar über beachtliche Mittel, weiß aber nicht, wie er sie im Rahmen der philippinischen Rechtsprechung am geschicktesten einsetzen kann.«
»Das ist Chester, wie er leibt und lebt. Könnten Sie ihm womöglich ein paar Tipps zukommen lassen?«
»Ich werde mit ihm sprechen.«
»Eins möchte ich Sie fragen«, sagt Randy. »Mir ist klar, dass geschickt eingesetzte finanzielle Mittel mich freikaufen könnten. Was aber, wenn irgendein reicher Mensch sein Geld dazu verwenden will, mich in den Todestrakt zu schicken?«
Das lässt Rechtsanwalt Alejandro für einen Moment verstummen. »Für einen wohlhabenden Menschen gibt es rationellere Methoden, jemanden umzubringen. Aus den eben genannten Gründen würde ein Möchtegern-Attentäter zunächst außerhalb des philippinischen Hinrichtungsapparates nach Möglichkeiten suchen. Als Ihr Anwalt bin ich deshalb der Überzeugung, dass hier in Wirklichkeit -«
»- jemand versucht, mir eine Botschaft zu schicken.«
»Genau. Sehen Sie, langsam fangen Sie an zu begreifen.«
»Ich frage mich, ob Sie wohl in etwa einschätzen können, wie lange ich hier noch eingesperrt sein werde. Soll ich mich vielleicht eines geringfügigeren Verbrechens schuldig bekennen und dann ein paar Jahre absitzen?«
Rechtsanwalt Alejandro wirkt gekränkt und schnaubt verächtlich. Er lässt sich nicht einmal zu einer Antwort herab.
»Ich hab’s ja nicht so gemeint«, sagt Randy. »Aber an welchem Punkt in dem ganzen Verfahren glauben Sie, könnte ich rauskommen? Immerhin haben die es ja abgelehnt, mich gegen Kaution freizulassen.«
»Selbstverständlich! Schließlich werden Sie eines Kapitalverbrechens beschuldigt! Obwohl jeder weiß, dass es ein Witz ist, darf man es nicht am gebührenden Respekt fehlen lassen.«
»Sie haben die mir untergeschobenen Drogen aus meiner Tasche gezogen – und dafür gibt es eine Million Zeugen. Es war doch eine Droge, oder?«
»Malaysisches Heroin. Ganz rein«, schwärmt Rechtsanwalt Alejandro.
»Alle diese Leute können also bezeugen, dass in meinem Gepäck ein Beutel Heroin gefunden wurde. Das dürfte die Aufgabe, mich hier rauszuholen, wohl erschweren.«
»Vermutlich können wir erreichen, dass die Klage abgewiesen wird, bevor der Prozess richtig losgeht, indem wir Mängel in der Beweisführung aufzeigen«, sagt Rechtsanwalt Alejandro. Irgendetwas in seiner Stimme und der Art, wie er aus dem Fenster starrt, deutet darauf hin, dass er gerade zum ersten Mal richtig darüber nachgedacht hat, wie er dieses Problem konkret angehen wird. »Vielleicht wird sich ein Gepäckträger vom NAIA melden und bezeugen, er habe gesehen, wie eine zwielichtige Gestalt die Drogen in Ihren Seesack schmuggelte.«
»Eine zwielichtige Gestalt?«
»Genau das«, sagt Rechtsanwalt Alejandro gereizt, da er Sarkasmus herauszuhören meint.
»Gibt’s davon viele hinter den Kulissen des NAIA?«
»Viele brauchen wir gar nicht.«
»Was meinen Sie, wie viel Zeit vergehen wird, bevor dieser Gepäckträger endlich so von seinem Gewissen geplagt wird, dass er sich meldet?«
Rechtsanwalt Alejandro zuckt die Schultern. »Ein paar Wochen vielleicht. Damit alles seine Richtigkeit hat. Wie sind Sie untergebracht?«
»Beschissen. Aber wissen Sie was? Mir ist mittlerweile alles ziemlich egal.«
»Unter den Beamten der Gefängnisverwaltung fürchten manche, Sie könnten, wenn Sie rauskommen, vielleicht Unangenehmes
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