Cryptonomicon
sind unerbittlich. Unter dem Befehl eines überlebenden Offiziers gruppieren sie sich neu und setzen die Verfolgung fort. Shaftoe, nun auf sich allein gestellt, sieht sich schließlich zwischen den Grundmauern eines Hotels herumgehetzt, eines luxuriösen Schuppens, der sich in der Nähe der amerikanischen Botschaft über der Bucht erhebt. Er stolpert über den Körper einer jungen Frau, die offensichtlich aus einem der Fenster gesprungen, gestürzt oder gestoßen worden ist. Als er sich, um Atem zu schöpfen, hinter ein Gebüsch kauert, schlägt aus den Hotelfenstern ein schrilles Klagen an sein Ohr. Ihm geht auf, dass das Gebäude voller Frauen ist, die allesamt schreien oder schluchzen.
Seine Verfolger scheinen ihn aus den Augen verloren zu haben. Das gilt auch für die Huks. Shaftoe bleibt eine Zeit lang an Ort und Stelle, lauscht all den Frauen, wünscht, er könnte etwas für sie tun. Aber das Gebäude muss voller japanischer Soldaten sein, sonst würden die Frauen nicht so schreien.
Er lauscht eine Zeit lang angestrengt, versucht die Klagen der Frauen zu ignorieren. Ein halbwüchsiges Mädchen in einem blutigen Nachthemd stürzt aus dem fünften Stock des Hotels und schlägt wie ein Sack Zement auf dem Boden auf. Shaftoe schließt die Augen und lauscht, bis er sich absolut sicher ist, dass er keine Kinder hört.
Die Lage wird nun klarer. Die Männer werden weggetrieben und umgebracht. Die Frauen werden in eine andere Richtung weggetrieben. Junge Frauen ohne Kinder werden in dieses Hotel gebracht. Frauen mit Kindern müssen demzufolge woanders hingebracht worden sein. Aber wohin?
Er hört Maschinenpistolenfeuer auf der anderen Seite des Hotels. Das müssen seine Kumpels sein. Er robbt bis zu einer Ecke des Gebäudes und lauscht abermals, um festzustellen, wo sie stecken – irgendwo in Rizal Park, meint er, doch dann legt MacArthurs Artillerie los, was das Zeug hält, und die Welt beginnt sich unter ihm zu heben wie ein Teppich, der ausgeschüttelt wird, und er kann weder Bleispritzen noch schreiende Frauen noch sonst etwas hören. Nach Osten und Süden zu hat er freie Sicht auf die Teile von Ermita und Malate, aus denen sie gerade gekommen sind, und er sieht dort große Schutttrümmer vom Boden hochschnellen, und Wolken von Staub. Er hat genug vom Krieg gesehen, um zu wissen, was das heißt: Die Amerikaner rücken nun auch von Süden her vor und kämpfen sich auf Intramuros zu. Shaftoe und sein Trupp Huks haben auf eigene Faust operiert, aber es scheint, dass sie unabsichtlich als Vorboten eines Infanterievorstoßes gedient haben.
Von dem Beschuss in Angst versetzt, kommt, vor Betrunkenheit kaum mehr imstande, sich auf den Beinen zu halten, eine Gruppe japanischer Soldaten, von denen sich einige noch die Hosen hochziehen, aus einem Nebeneingang des Hotels gewankt. Angewidert wirft Shaftoe eine Granate auf sie und verschwindet dann umgehend, ohne sich damit aufzuhalten, die Wirkung zu überprüfen. Allmählich macht es keinen Spaß mehr, Nips umzubringen. Man hat nicht mehr das Gefühl, etwas zu leisten. Es ist nur noch ein langweiliger, gefährlicher Job, der niemals zu enden scheint. Wann hören diese dummen Schweine endlich auf? Sie sind dabei, sich vor aller Welt zu blamieren.
Er findet seine Männer in Rizal Park, im Schatten der alten spanischen Mauer von Intramuros, wo sie den Überresten der japanischen Trupps, die sie hierher verfolgt haben, den Besitz eines Baseball-Feldes streitig machen. Der Zeitpunkt ist zugleich günstig und ungünstig. Ein bisschen früher, und japanische Verstärkungen aus den umliegenden Vierteln hätten das Scharmützel gehört, wären in den Park geströmt und hätten sie ausgelöscht. Ein bisschen später, und die amerikanische Infanterie wäre hier. Doch im Augenblick liegt Rizal Park in der Mitte eines heruntergekommenen städtischen Schlachtfeldes und nichts ergibt irgendeinen Sinn. Sie müssen der Situation ihren Willen aufzwingen, eine Fähigkeit, die Bobby Shaftoe mittlerweile ziemlich gut beherrscht.
Ihr einziger Vorteil besteht darin, dass die Artillerie vorderhand woandershin zielt. Shaftoe kauert sich hinter eine Kokospalme und versucht auszuklamüsern, wie zum Teufel er über ein paar hundert Meter topfebenes, offenes Gelände hinweg dieses Baseball-Feld erreichen soll.
Er kennt das hier; Onkel Jack hat ihn einmal zu einem BaseballSpiel hierher mitgenommen. Entlang der Seitenlinien erheben sich Holztribünen.Vor jeder befindet sich ein Unterstand mit
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