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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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hierher geführt hat.
    Es gibt einen Hof mit einem Brunnen in der Mitte, gesäumt von einem langen, überdachten Kreuzgang, wo sich die spanischen Mönche im Schatten ergehen, die Blumen betrachten und dem Gesang der Vögel lauschen konnten. Im Moment singen nur die Granaten, die über das Gebäude hinwegsausen. Aber im Kreuzgang laufen kleine Filipino-Kinder um die Wette und im Hof lagern ihre Mütter, Tanten und Großmütter, schöpfen Wasser aus dem Brunnen und kochen über Feuern aus brennenden Stuhlbeinen Reis.
    Ein Zweijähriger mit grauen Augen verfolgt mit einer behelfsmäßigen Keule ein paar größere Kinder eine steinerne Arkade entlang. Seine Haarfarbe ist teils die von Bobby, teils die von Glory, und Bobby Shaftoe kann das Gloryhafte beinahe fluoroskopisch aus seinem Gesicht leuchten sehen. Der Junge hat den gleichen Knochenbau, den Bobby ein paar Tage zuvor auf der Sandbank gesehen hat, doch hier ist er von pummeligem, rosigem Fleisch umhüllt. Das Fleisch allerdings zeigt blaue Flecken und Abschürfungen. Zweifellos ehrenhaft erworben. Bobby geht in die Hocke, schaut dem kleinen Shaftoe in die Augen und fragt sich, wie er ihm je alles erklären soll. Doch der Junge sagt: »Bobby Shaftoe, du hast Wehweh«, lässt seinen Knüttel fallen und tritt näher heran, um die Wunden an Bobbys Arm in Augenschein zu nehmen. Kleine Kinder halten sich nicht damit auf, hallo zu sagen, sondern fangen einfach mit einem zu reden an, und Shaftoe findet das eine gute Methode, mit etwas umzugehen, was ansonsten ziemlich peinlich wäre. Wahrscheinlich haben die Altamiras dem kleinen Douglas M. Shaftoe seit dem Tag seiner Geburt erzählt, dass eines Tages Bobby Shaftoe im Triumph übers Meer kommen würde. Dass er das nun tatsächlich getan hat, ist ebenso unspektakulär und zugleich ebenso wunderbar wie die Tatsache, dass jeden Tag die Sonne aufgeht.
    »Wie ich sehe, haben du und deine Leute Flexibilität gezeigt, und das ist gut«, sagt Bobby Shaftoe zu seinem Sohn, aber er erkennt sofort, dass er überhaupt nicht zu dem Kind durchdringt. Er verspürt das Bedürfnis, dem Kind etwas mitzugeben, das hängen bleibt, und dieses Bedürfnis ist stärker, als es das Verlangen nach Morphium oder Sex je war.
    Also hebt er den Jungen hoch und trägt ihn durch den Gebäudekomplex, halb eingestürzte Korridore entlang, über sich setzende Schutthaufen hinweg und zwischen toten japanischen Jungen hindurch bis zu jener großen Treppe, zeigt ihm die riesigen Granitblöcke, erzählt ihm, wie sie gelegt wurden, einer auf den anderen, Jahr um Jahr, wenn die Galeone voller Silber aus Acapulco kam. Doug M. Shaftoe hat schon mit Bauklötzen gespielt, sodass ihm das Grundkonzept sofort einleuchtet. Der Vater trägt den Sohn ein paarmal die Treppe auf und ab. Sie stehen an deren Fuß und blicken hinauf. Die Bauklotz-Analogie hat sich tief eingeprägt. Ganz aus eigenem Antrieb hebt Doug M. beide Arme über den Kopf und ruft: »Soooo groß«, und der Laut hallt die Treppe auf und ab. Bobby will dem Jungen erklären, dass man das so macht, dass man eins aufs andere schichtet und immer so weitermacht – manchmal geht die Galeone in einem Sturm unter und in dem Jahr bekommt man dann keinen Granitklotz -, aber man bleibt dran und irgendwann hat man dann etwas, das sooo groß ist.
    Er wünscht, er könnte noch etwas Bedeutsames über Glory sagen, und wie sie sich bemühe, ihre eigene Treppe zu bauen. Wenn er ein Mann des Wortes wäre wie Enoch Root, wäre er vielleicht imstande, es zu erklären. Aber er weiß, dass das weit über den Horizont des Kleinen geht, so wie es über Bobbys Horizont ging, als Glory ihm die Treppe zeigte. Das Einzige, was bei Douglas MacArthur hängen bleiben wird, ist die Erinnerung daran, dass sein Vater ihn hierher gebracht und die Treppe hinauf- und hinuntergetragen hat, und wenn er lange genug lebt und gründlich genug nachdenkt, versteht er es irgendwann vielleicht auch, so wie Bobby. Für den Anfang reicht das.
    Unter den Frauen im Hof hat sich herumgesprochen, dass Bobby Shaftoe gekommen ist – besser spät als nie! -, sodass er ohnehin keine Zeit für tiefschürfende Reden hat. Die Altamiras haben einen Auftrag für ihn: Er soll Carlos finden, einen Elfjährigen, der vor ein paar Tagen verschleppt wurde, als die Nips durch Malate fegten. Shaftoe sucht zunächst einmal MacArthur und Goto Dengo und entschuldigt sich. Die beiden sind in ein Gespräch über Goto Dengos Tunnelbau-Fähigkeiten vertieft, und wie sie sich

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