Cryptonomicon
für den Wiederaufbau Japans nutzen ließen, ein Projekt, das Der General in Angriff nehmen will, sobald er damit fertig ist, die Anrainerstaaten des Pazifiks in Schutt und Asche zu legen.
»Sie haben einiges an Sünden abzubüßen, Shaftoe«, sagt Der General, »und mit Hinknien und ein paar Ave Marias beten ist es nicht getan.«
»Das verstehe ich, Sir.«
»Ich habe da eine Kleinigkeit, die erledigt werden muss – genau das, wofür sich ein Marine Raider mit Fallschirmspringer-Ausbildung hervorragend eignen würde.«
»Was wird das Marine-Ministerium davon halten, Sir?«
»Ich habe nicht die Absicht, diesen Badewannen-Strategen zu stecken, dass ich Sie gefunden habe, bevor Sie diesen Auftrag ausgeführt haben. Aber wenn Sie damit fertig sind – ist alles verziehen.«
»Ich bin gleich wieder da«, sagt Shaftoe.
»Wo wollen Sie hin, Shaftoe?«
»Es gibt da noch ein paar Leute, die mir zuerst verzeihen müssen.«
Mit einer neu gebildeten, neu bewaffneten und verstärkten Abteilung Huks bricht er in Richtung Fort Santiago auf. Das alte spanische Fort ist in den zurückliegenden Stunden von den Amerikanern befreit worden. Sie haben die Türen zu den Kerkern und unterirdischen Höhlen entlang dem Pasig aufgerissen. Den elfjährigen Carlos Altamira zu finden reduziert sich somit auf das Sichten mehrerer tausend Leichen. Fast alle Filipinos, die die Nips hierher getrieben haben, sind tot, entweder bei Massenexekutionen gestorben, in den Kerkern erstickt oder ertrunken, als die Flut den Fluss heraufgekommen ist und die Zellen überschwemmt hat. Bobby Shaftoe weiß eigentlich gar nicht, wie Carlos aussieht, und so kann er lediglich die jung aussehenden Leichen herausgreifen und sie der Familie Altamira zur Ansicht präsentieren. Die Wirkung des Benzedrins, das er vor zwei Tagen genommen hat, hat nachgelassen und er fühlt sich selbst halb tot. Er trottet mit einer Petroleumlaterne durch den spanischen Kerker, richtet das trübe gelbe Licht auf die Gesichter der Toten und murmelt die Worte wie ein Gebet vor sich hin.
»Widersagst du dem Blendwerk des Bösen und lässt dich nicht von ihm knechten?«
WEISHEIT
Als Randy vor ein paar Jahren den ununterbrochenen Druck im Unterkiefer satt hatte, suchte er auf dem nord- und mittelkalifornischen Kieferchirurgenmarkt nach jemandem, der ihm die Weisheitszähne ziehen würde. Seine Krankenversicherung deckte das ab, so dass die Kosten kein Hindernis darstellten. Sein Zahnarzt machte von seiner ganzen unteren Kopfhälfte eine dieser großen CinemaScope-Panorama-Röntgenaufnahmen, bei der sie einem den Mund mit einer halben Rolle High-Speed-Film voll packen, den Kopf in eine Spannvorrichtung klemmen und, während das gesamte Personal der Zahnarztpraxis sich hinter einem Bleischutzschirm zu Boden wirft, die Röntgenkamera um einen herumfahren und durch einen Schlitz Strahlen aussenden lassen, was am Ende eine Aufnahme von einem ziemlich unappetitlich verzerrten Unterkiefer in einer einzigen Ebene ergibt. Bei ihrem Anblick vermied Randy derbere Vergleiche wie »Kopf eines flach auf dem Rücken liegenden Mannes, der mehrmals von einer Dampfwalze überrollt wurde« und versuchte, eine kartographische Projektion darin zu sehen – einfach einen weiteren jener vielen unklugen Versuche der Menschheit, 3-D-Zeug zweidimensional darzustellen. Die Ecken dieser Koordinatenebene bildeten die Weisheitszähne selbst, die sogar einem zahnmedizinischen Laien wie Randy etwas beunruhigend vorkamen, da jeder von ihnen die Größe seines Daumens hatte (obwohl das möglicherweise auch nur eine Verzerrung in der winkeltreuen Abbildung war – wie das allgemein bekannte aufgedunsene Grönland bei Mercator) und sie waren ziemlich weit von allen anderen Zähnen entfernt, was sie (logischerweise) Körperteilen zuzuordnen schien, die nicht im Zuständigkeitsbereich eines Zahnarztes lagen, und sie standen im falschen Winkel – nicht nur ein bisschen schief, sondern nahezu auf dem Kopf und nach hinten gerichtet. Anfangs schrieb er das alles dem Grönlandphänomen zu. Mit seiner Kiefer-Landkarte in der Hand suchte er in ganz Three-Siblings-Land nach einem Kiefernchirurgen. Allmählich schlug es ihm schon auf die Psyche. Diese blöden Zähne! Entstanden durch das Wirken von DNS-Relikten aus dem Zeitalter der Jäger und Sammler. Vorgesehen für das Zermalmen von Baumrinde und Mammutknorpel zu einem leicht verdaulichen Brei. In einem zierlichen Cromagnon-Kopf, der einfach keinen Platz für sie hatte, waren
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