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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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junge brillante Kieferchirurg sagte nur »Okay«, stand eine Weile unbeholfen da und ging dann unter Zurschaustellung einer sozialen Inkompetenz, die Randys Vertrauen in ihn vollends festigte, aus dem Zimmer. Eine seiner Helferinnen ließ Randy schließlich eine Haftungsausschlusserklärung unterschreiben, die besagte, dass er nichts dagegen habe, wenn der Kieferchirurg beschlösse, Randys ganzen Körper in einen Häcksler zu stopfen, aber das erschien Randy ausnahmsweise wie eine reine Formalität und nicht wie die Eröffnungsrunde einer unvermeidlichen Prozessarie nach Art von Dickens’ Bleakhaus.
    Und dann war der großeTag gekommen, und Randy genoss ganz bewusst sein Frühstück, da er wusste, dass er angesichts der drohenden Nervenschädigung vielleicht zum letzten Mal in seinem Leben imstande war, Essen zu schmecken oder auch nur zu kauen. Die Helferinnen des Kieferchirurgen bedachten Randy, als er zur Tür ihrer Praxis hereinkam, mit ehrfürchtigen Blicken nach dem Motto Mein Gott, der ist ja wirklich aufgetaucht!, um sich dann auf beruhigende Weise ans Werk zu machen. Randy setzte sich in den Stuhl und sie gaben ihm eine Spritze und dann kam der Kieferchirurg herein und fragte ihn, worin, wenn überhaupt, der Unterschied zwischen Windows 95 und Windows NT bestehe. »Das ist eine dieser Unterhaltungen, deren Zweck einzig und allein darin besteht, dass Sie merken, wann ich das Bewusstsein verliere, stimmt’s?«, fragte Randy. »In diesem Fall gibt es noch einen weiteren Zweck, nämlich den, dass ich erwäge umzusteigen und gerne Ihre Meinung dazu gehört hätte«, sagte der Kieferchirurg.
    »Also«, sagt Randy, »ich habe viel mehr Erfahrung mit UNIX als mit NT, aber nach allem, was ich gesehen habe, scheint NT ein recht ordentliches Betriebssystem und sicher um einiges seriöser als Windows zu sein.« Er hielt inne, um Luft zu holen, und bemerkte, dass plötzlich alles anders war. Der Kieferchirurg und seine Helferinnen waren immer noch da und besetzten auch mehr oder minder dieselben Positionen innerhalb seines Gesichtsfeldes wie vor dem Zeitpunkt, zu dem er diesen Satz formuliert hatte, aber jetzt saß die Brille des Kieferchirurgen schief, die Gläser waren blutverschmiert, sein Gesicht war völlig verschwitzt, seine Maske mit kleinen Bröckchen eines Zeugs gesprenkelt, das ganz danach aussah, als käme es von ziemlich weit unten in Randys Körper, die Luft im Raum war neblig von feinem Knochenstaub und die Zahnarzthelferinnen waren müde und abgespannt und sahen aus, als könnten sie eine Generalüberholung, ein Facelifting und einen Urlaub am Meer gebrauchen. Randys Brust und Schoß waren ebenso wie der Fußboden übersät mit blutigen Watteröllchen und hastig aufgerissenen Verpackungen von medizinischem Material. An der Stelle, wo der junge brillante Kieferchirurg ihn mit dem Rückstoß seines Schädelpresslufthammers permanent an die Kopfstütze gedrückt hatte, tat ihm der Hinterkopf weh. Als er versuchte, seinen Satz zu vollenden (»wenn Sie also bereit sind, den Aufpreis zu zahlen, glaube ich, dass Sie mit einem Wechsel zu NT sehr gut beraten wären«), fiel ihm auf, dass sein Mund mit irgendetwas voll gestopft war, das ihn am Sprechen hinderte. Der Kieferchirurg zog sich die Maske vom Gesicht und fuhr sich durch den schweißtriefenden Bart. Er schaute nicht Randy an, sondern einen Punkt in weiter Ferne. Er stieß einen tiefen, langsamen Seufzer aus. Seine Hände zitterten.
    »Was für ein Tag ist heute?«, murmelte Randy durch Watte hindurch.
    »Wie bereits erwähnt«, sagte der brillante junge Kieferchirurg, »berechnen wir die Ziehung von Weisheitszähnen je nach Schwierigkeitsgrad anhand einer gleitenden Preisskala.« Er hielt einen Moment inne, während er nach Worten suchte. »In Ihrem Fall werden wir Ihnen leider auf alle vier den Höchstpreis in Rechnung stellen müssen.« Dann stand er auf und schlurfte aus dem Zimmer, gebeugt, dachte Randy, nicht so sehr von der Anstrengung seines Jobs als von dem Wissen, dass niemand ihm je für das, was er soeben geleistet hatte, den Nobelpreis verleihen würde.
    Randy ging nach Hause, verbrachte ungefähr eine Woche damit, auf seiner Couch vor dem Fernseher zu liegen, Betäubungsmittel wie Gummibärchen zu schlucken und vor Schmerz laut zu stöhnen, und dann ging es ihm besser. Der Druck in seinem Schädel war weg. Völlig weg. Mittlerweile kann er sich nicht einmal mehr daran erinnern, wie er sich damals angefühlt hat.
    Während er jetzt im

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