Cryptonomicon
stark. Er füllt sich die Lungen mit der ätzenden Schärfe, atmet sie aus. Und natürlich nimmt er in diesem Moment einen Hauch von Gegrilltem wahr und weiß, dass diese betonummantelte Insel unter anderem ein Krematorium ist.
Er folgt den Jungs von der Army durch schwarz verschmierte Tunnel, die in eine buntscheckige Matrix aus Beton, Mauerwerk und soliden Fels hineingebohrt sind. Zuerst waren die Höhlen da, von Regen und Wellen ins Gestein gefressen, dann von Spaniern mit Meißeln, Presslufthämmern, Sprengpulver erweitert und nutzbar gemacht. Dann kamen die Amerikaner mit Ziegelsteinen und schließlich die Japaner mit Stahlbeton.
Während sie immer tiefer in das Labyrinth eindringen, passieren sie auch einige Tunnel, die anscheinend wie Lötlampen wirkten: Die Wände sind blank gescheuert worden, als wäre eine Million Jahre lang ein reißender Bach hindurchgeströmt, und der Boden ist mit silbernen Lachen bedeckt, wo Gewehre oder Aktenschränke zu Pfützen geschmolzen sind. Noch immer strahlen die Wände gespeicherte Hitze ab, welche die Hitze des philippinischen Klimas noch verstärkt und sie alle noch mehr ins Schwitzen bringt, falls das überhaupt möglich ist.
Andere Korridore, andere Räume waren in dem Feuerfluss lediglich Nebenarme. Beim Blick durch Türen kann Waterhouse Bücher sehen, die verkohlt, aber nicht verbrannt sind, aus aufgeplatzten Schränken quellendes, geschwärztes Papier -
»Einen Moment«, sagt er. Sein Begleiter dreht sich um und bekommt gerade noch mit, wie Waterhouse durch eine niedrige Tür in einer winzigen Kammer verschwindet, wo ihm etwas aufgefallen ist.
Es handelt sich um ein wuchtiges Holzschränkchen, inzwischen weitgehend in Kohle umgewandelt, sodass es aussieht, als wäre nur noch der Schatten des Schränkchens vorhanden. Irgendwer hat schon eine der Türen aus den Angeln gerissen und schwarzes Konfetti ins Zimmer rieseln lassen. Das Schränkchen war mit Papierzetteln gefüllt, die weitgehend verbrannt sind, doch als Waterhouse die Hand in den Aschehaufen steckt (langsam! Das Ganze ist noch ziemlich heiß), bekommt er ein fast intaktes Bündel in die Finger.
»Was ist das für Geld?«, fragt der Bursche von der Army.
Waterhouse zieht oben aus dem Bündel einen Schein heraus. Die Vorderseite ist mit japanischen Schriftzeichen bedruckt und zeigt eine Gravur von Tojo. Er dreht ihn um. Die Rückseite ist englisch bedruckt: TEN POUNDS.
»Australische Währung«, sagt Waterhouse.
»Sieht mir nicht australisch aus«, sagt der Bursche von der Army mit einem finsteren Blick auf Tojo.
»Wenn die Nips gewonnen hätten...«, sagt Waterhouse und zuckt die Achseln. Er wirft den Stapel Zehn-Pfund-Noten auf den Aschehaufen der Geschichte und nimmt sein Einzelexemplar mit hinaus auf den Flur. Man hat ein Collier aus Glühbirnen an die Decke gehängt. Ihr Licht spiegelt sich in Pfützen, die aussehen, als bestünden sie aus Quecksilber: die Überreste von Waffen, Gürtelschließen, Stahlschränken und Türklinken, in dem Inferno geschmolzen und mittlerweile erstarrt.
Das Kleingedruckte auf der Banknote lautet IMPERIAL RESERVE BANK, MANILA.
»Sir! Alles in Ordnung?«, fragt der Bursche von der Army. Waterhouse wird bewusst, dass er eine Zeit lang nachgedacht hat.
»Weiter«, sagt er und steckt den Schein in die Tasche.
Er hat darüber nachgedacht, ob er etwas von dem Geld mitnehmen darf. Souvenirs mitnehmen darf man, nicht aber plündern. Folglich kann er das Geld mitnehmen, wenn es wertlos ist, nicht aber, wenn es sich um echtes Geld handelt.
Nun würde jemand, der nicht so dazu neigt, alles bis in die n-te Potenz zu überlegen und zu begrübeln, sofort einsehen, dass das Geld wertlos ist, da die Japaner Australien nun einmal nicht erobert haben und niemals erobern werden. Das Geld ist also bloß ein Souvenir, richtig?
Vermutlich ja. Das Geld ist effektiv wertlos. Doch wenn Waterhouse eine echte australische Zehn-Pfund-Note fände und das Kleingedruckte läse, so stünde dort wahrscheinlich auch irgendwo der Vermerk einer Zentralbank.
Zwei Stücke Papier, die beide den Anspruch erheben, zehn Pfund wert zu sein, beide ganz offiziell aussehen, beide den Namen einer Bank tragen. Das eine ein wertloses Souvenir, das andere gesetzliches Zahlungsmittel für sämtliche öffentlichen und privaten Schulden.Wie das?
Es läuft darauf hinaus, dass Leute den Behauptungen auf dem einen Stück Papier trauen, nicht aber denen auf dem anderen. Sie glauben, dass man mit der echten
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