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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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australischen Note zu einer Bank in Melbourne gehen, sie über den Schalter schieben und Silber oder Gold – oder zumindest irgendetwas – dafür kriegen kann.
    Vertrauen reicht weit, doch wenn man für eine Währung einstehen will, muss man an irgendeinem Punkt den Beweis dafür antreten. Irgendwo muss man tatsächlich einen Haufen Gold im Keller liegen haben. Ungefähr zur Zeit der Evakuierung aus Dünkirchen, als die Briten mit einer unmittelbar bevorstehenden Invasion ihrer Inseln durch die Deutschen rechneten, schafften sie ihre sämtlichen Goldreserven an Bord einiger Schlachtschiffe und Passagierdampfer und beförderten sie schleunigst zu Banken in Toronto und Montreal. So hätten sie ihre Währung auch dann über Wasser halten können, wenn die Deutschen London überrannt hätten.
    Doch die Japaner müssen nach denselben Regeln spielen wie alle anderen auch. Ja, sicher, auf irgendeine Weise beugt sich ein unterworfenes Volk, wenn man ihm eine Heidenangst einjagt, aber jemandem ein Messer an die Kehle zu setzen und zu sagen: »Ich will, dass du glaubst, dass dieses Stück Papier zehn Pfund Sterling wert ist«, funktioniert nicht sehr gut. Vielleicht sagt der Betreffende sogar, dass er es glaubt, aber er wird es nicht glauben. Er wird sich nicht entsprechend verhalten. Und wenn er sich nicht entsprechend verhält, gibt es keine Währung, Arbeiter werden nicht bezahlt (man kann sie versklaven, aber die Sklaventreiber muss man trotzdem bezahlen), die Wirtschaft funktioniert nicht und man kann die natürlichen Ressourcen, derentwegen man das Land überhaupt erst erobert hat, nicht ausbeuten. Grundsätzlich braucht man, wenn man eine Volkswirtschaft betreiben will, eine Währung. Wenn jemand mit einer der dazugehörigen Banknoten in eine Bank geht, muss man imstande sein, ihm Gold dafür zu geben.
    Die Japaner sind geradezu besessen davon, alles durchzuplanen. Waterhouse weiß das; er liest nun schon seit ein paar Jahren zwischen zwölf und achtzehn Stunden pro Tag ihre entschlüsselten Funksprüche und weiß, wie sie denken. Er weiß ebenso sicher, wie er weiß, wie man eine D-Dur-Tonleiter spielt, dass die Japaner sich mit dem Problem der Deckung ihrer Währung auseinander gesetzt haben müssen – und zwar nicht nur für Australien, sondern auch für Neuseeland, Neuguinea, die Philippinen, Hongkong, China, Indochina, Korea, die Mandschurei …
    Wie viel Gold und Silber bräuchte man, um so viele Menschen davon zu überzeugen, dass das Papiergeld, das man ausgibt, tatsächlich etwas wert ist? Und wo würde man es unterbringen?
    Sein Begleiter führt ihn ein paar Stockwerke tiefer und schließlich in einen erstaunlich großen Raum weit unten.Wenn sie sich im Bauch der Insel befinden, so muss es sich hierbei um den Blinddarm oder so etwas handeln. Er ist von unbestimmter Form und die Wände sind an den meisten Stellen glatt und wie gekräuselt, mit Meißelspuren, wo Menschen es für angebracht hielten, den Raum zu erweitern. Das Gestein ist, ebenso wie die Luft, nach wie vor kühl.
    In diesem Raum stehen lange Tische und mindestens drei Dutzend leere Stühle – und so atmet Waterhouse zuerst nur in ganz kurzen, flachen Zügen, weil er sich davor fürchtet, tote Menschen zu riechen. Aber das ist nicht der Fall.
    Logisch. Sie befinden sich in der Mitte des Felsens. Es führt nur ein Weg in diesen Raum. Unmöglich, dass es hier kräftig durchzieht – kein Lötlampeneffekt – offensichtlich überhaupt keine Brandschäden. Dieser Raum ist verschont geblieben. Die Luft ist so dick wie kalter Bratensaft.
    »Hier haben wir vierzig Tote gefunden«, sagt sein Begleiter.
    »Woran gestorben?«
    »Erstickung.«
    »Offiziere?«
    »Ein japanischer Hauptmann. Der Rest waren Sklaven.«
    Vor Kriegsausbruch war der Begriff »Sklave« für Waterhouse ebenso veraltet wie »Küfer« oder »Kerzenzieher«. Nun, da die Nazis und die Japaner die Praxis wiederbelebt haben, hört er ihn ständig. Der Krieg ist seltsam.
    Seit sie die Kammer betreten haben, sind seine Augen damit beschäftigt, sich an das trübe Licht anzupassen. Die ganze Höhle wird von einer einzigen 25-Watt-Birne erleuchtet und die Wände verschlucken fast alles Licht.
    Er kann rechteckige Gegenstände auf den Tischen liegen sehen, vor jedem Stuhl einen. Beim Hereinkommen hat er angenommen, dass es sich um Blätter Papier handelt – einige davon sind das auch. Doch als er besser sieht, erkennt er, dass die meisten leere, mit abstrakten Mustern aus runden Punkten

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