Cryptonomicon
beendet hält, sein Augenmerk längst vom Problem der Stimmenverschlüsselung ab- und der Schaffung von Denkmaschinen zugewandt. Seit nunmehr zehn Monaten – seit die fertige Colossus Mark II an Bletchley Park geliefert wurde – hat er Gelegenheit, mit einer tatsächlich programmierbaren Rechenmaschine zu arbeiten. Alan hat diese Maschinen erfunden, lange bevor je eine gebaut wurde, und niemals praktische Erfahrungen gebraucht, um über sie nachzudenken, aber seine Erfahrungen mit Colossus Mark II haben ihm geholfen, einige Vorstellungen davon, wie die nächste Maschine konstruiert sein sollte, zu konkretisieren. Er denkt sie sich als Nachkriegs-Maschine, aber das liegt nur daran, dass er in Europa ist und sich nicht so sehr mit dem Problem der Eroberung Japans beschäftigt wie Waterhouse.
»Ich habe an VERGRABEN und AUSGRABEN gearbeitet«, sagt eine Stimme, die aus kleinen Löchern in einem auf Waterhouses Kopf sitzenden Bakelit-Kopfhörer dringt. Die Stimme ist merkwürdig verzerrt und wird fast völlig von weißem Rauschen und einem unerträglichen Summen überlagert.
»Sagst du das bitte noch mal?«, sagt Lawrence und drückt sich die Hörmuscheln an die Ohren.
»VERGRABEN und AUSGRABEN«, sagt die Stimme. »Das sind, äh, Sätze von Anweisungen an die Maschine, bestimmte Algorithmen auszuführen. Es sind Programme.«
»Genau! Tut mir Leid, beim ersten Mal habe ich dich nicht richtig verstanden. Ja, ich habe auch daran gearbeitet«, sagt Waterhouse.
»Die nächste Maschine wird ein Gedächtnis-Speichersystem haben, Lawrence, und zwar in Form von Schallwellen, die sich durch einen mit Quecksilber gefüllten Zylinder fortpflanzen – die Idee haben wir von John Wilkins, dem Gründer der Royal Society, geklaut, der sie schon vor dreihundert Jahren hatte, außer dass er statt Quecksilber Luft verwenden wollte. Ich – Verzeihung, Lawrence, hast du eben gesagt, dass du auch daran gearbeitet hast?«
»Ich habe das gleiche mit Röhren gemacht.«
»Tja, für euchYanks ist das ja gut und schön«, sagt Alan. »Wenn man unendlich reich ist, könnte man so ein System vermutlich auch aus Dampflokomotiven oder so was machen und tausend Leute beschäftigen, die herumlaufen und Öl auf die quietschenden Stellen spritzen.«
»Das mit dem Quecksilber ist eine gute Idee«, gibt Waterhouse zu. »Sehr raffiniert.«
»Hat VERGRABEN und AUSGRABEN bei dir tatsächlich mit Röhren funktioniert?«
»Ja. Mein AUSGRABEN funktioniert jedenfalls besser als damals unsere Schaufel-Expeditionen«, sagt Lawrence. »Hast du deine Silberbarren eigentlich je wiedergefunden?«
»Nein«, sagt Alan zerstreut. »Die sind verloren. Verloren im Rauschen der Welt.«
»Das war übrigens gerade ein Turing-Test, den ich mit dir veranstaltet habe«, sagt Lawrence.
»Wie bitte?«
»Diese verdammte Maschine verzerrt deine Stimme dermaßen, dass ich dich nicht von Winston Churchill unterscheiden kann«, sagt Lawrence. »Ob du es wirklich bist, kann ich also nur dadurch überprüfen, dass ich dich dazu bringe, etwas zu sagen, was nur Alan Turing sagen kann.«
Er hört Alans durchdringendes, schrilles Lachen am anderen Ende der Leitung. Er ist es wirklich.
»Diese Projekt-X-Geschichte ist wirklich entsetzlich«, sagt Alan. »Delilah ist um ein Vielfaches überlegen. Ich wünschte, du könntest es dir selbst ansehen. Oder hören.«
Alan befindet sich irgendwo in London in einem Befehlsbunker. Lawrence befindet sich in der Manila Bay, auf dem Felsen, der Insel Corregidor. Verbunden sind sie durch einen Kupferfaden, der um die ganze Welt herumgeht. Mittlerweile ziehen sich viele solcher Fäden über die Meeresböden der Welt, aber nur ein paar ganz spezielle enden in Räumen wie diesen. Diese Räume befinden sich in Washington, London, Melbourne und nun auch Corregidor.
Durch ein dickes Glasfenster blickt Waterhouse in die Tonkabine, wo sich auf dem genauesten und teuersten Plattenspieler der Welt eine Schallplatte dreht. Bei ihr handelt es sich um die wertvollste jemals produzierte Schallplatte: Sie enthält, jedenfalls der Absicht nach, vollkommen beliebiges weißes Rauschen. Dieses Rauschen wird elektronisch mit dem Klang von Lawrences Stimme kombiniert, ehe es über die Leitung geschickt wird. In London angekommen, wird das Rauschen (das von einer identischen Schallplatte dort abgelesen wird) von Lawrences Stimme abgezogen und das Ergebnis wird in Alan Turings Kopfhörer geschickt. Das Ganze steht und fällt damit, dass die beiden
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