Cryptonomicon
müssen.«
»Randy, Staaten werden immer Möglichkeiten finden, Steuern einzutreiben. Schlimmstenfalls kann das Finanzamt einfach alles auf Vermögenssteuern umstellen – Immobilien kannst du nicht im Cyberspace verstecken. Aber vergiss nicht, dass die Vereinigten Staaten hier nicht allein sind – die Chinesen stecken auch ganz dick drin.«
»Wing!«, stößt Randy hervor. Er und Avi zucken zusammen und blicken sich um. Die pasocon otaku beachten sie nicht weiter. Ein Mann, der Bandkabel in allen Regenbogenfarben verkauft, beäugt sie mit höflicher Neugier und wendet dann den Blick ab. Sie verlassen den Bazar und treten auf den Bürgersteig. Es hat zu regnen begonnen. Ein Dutzend fast identischer junger Frauen in Miniröcken und Stöckelschuhen marschieren in Keilformation mitten auf der Straße entlang, in den Händen Regenschirme mit dem Gesicht einer Videospiel-Figur als Wappen.
»Wing gräbt in Bundok nach Gold«, sagt Randy. »Er denkt, er weiß, wo Golgatha ist. Wenn er es findet, braucht er eine ganz spezielle Art von Bank.«
»Er ist nicht der Einzige auf der Welt, der eine spezielle Bank braucht«, sagt Avi. »Im Lauf der Jahre hat die Schweiz massenhaft Geschäfte mit Staaten oder mit Leuten, die staatliche Verbindungen hatten, gemacht. Warum ist Hitler nicht in die Schweiz einmarschiert? Weil die Nazis ohne die Schweiz nicht ausgekommen wären. Die Krypta füllt also eindeutig eine Lücke.«
»Okay«, sagt Randy, »also wird man die Krypta bestehen lassen.«
»Unbedingt. Die Welt braucht sie«, sagt Avi. »Und wir brauchen sie auch, wenn wir Golgatha ausgraben.«
Plötzlich zeigt Avi einen schelmischen Gesichtsausdruck; er sieht aus, als wäre er auf einen Schlag zehn Jahre jünger geworden. Darüber muss Randy lauthals lachen, das erste Mal seit ein paar Monaten, dass er richtig lacht. Seine Stimmung hat ganz plötzlich eine seismische Verschiebung durchgemacht, die ganze Welt sieht für ihn anders aus. »Zu wissen, wo es ist, reicht nicht. Enoch sagt, diese Schätze seien tief in Schächten vergraben worden, in hartem Fels.Wir kriegen das Gold also nicht heraus, ohne ein größeres technisches Projekt zu starten.«
»Was glaubst du wohl, warum ich in Tokio bin?«, fragt Avi. »Na los, gehen wir ins Hotel zurück.«
Während Avi eincheckt, holt Randy am Empfang seine Nachrichten und stellt fest, dass ein FedEx-Kuvert auf ihn wartet. Wenn sich unterwegs jemand daran zu schaffen gemacht hat, dann hat der Betreffende es gut verstanden, seine Spuren zu verwischen. Es enthält eine von Hand verschlüsselte Nachricht von Enoch Root, der offenbar irgendeine Methode ausklamüsert hat, aus dem Knast entlassen zu werden, ohne an seinem Gewissen Schaden zu nehmen. Es handelt sich um mehrere Zeilen vermeintlich beliebiger Blockbuchstaben in Fünfergruppen. Randy trägt seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis ständig ein Spiel Karten mit sich herum: den vorher vereinbarten Schlüssel, der diese Nachricht entschlüsseln wird. Die Aussicht auf mehrere Stunden Solitaire erscheint in Tokio sehr viel weniger einladend als im Gefängnis – und er weiß, dass es so lange dauern wird, eine Nachricht von dieser Länge zu entschlüsseln. Aber er hat seinen Laptop bereits darauf programmiert, Solitaire nach Enochs Regeln zu spielen; er hat bereits den Schlüssel eingegeben, der in dem Kartenspiel beschlossen ist, das Enoch ihm gegeben hat, und er hat ihn auf einer Diskette abgespeichert, die er, mit einem Gummiband an dem Kartenspiel befestigt, in seiner Tasche hat. Also gehen er und Avi auf Avis Zimmer und machen unterwegs einen kurzen Abstecher, um Randys Laptop zu holen, und während Avi seine Nachrichten durchsieht, gibt Randy den Schlüsseltext ein und lässt ihn entschlüsseln. »Enochs Nachricht lautet, dass das Land über Golgatha der Kirche gehört«, murmelt Randy, »aber um dorthin zu kommen, müssen wir Land durchqueren, das Wing und irgendwelchen Filipinos gehört.«
Avi scheint ihn nicht zu hören. Er ist auf eine Nachrichten-Notiz fixiert.
»Was ist los?«, fragt Randy.
»Eine kleine Änderung unserer Pläne für heute Abend. Ich hoffe, du hast einen wirklich guten Anzug dabei.«
»Ich habe gar nicht gewusst, dass wir für heute Abend schon was vorhatten.«
»Wir wollten uns mit Goto Furudenendu zusammensetzen«, sagt Avi. »Ich habe mir gedacht, das sind die richtigen Leute, an die man sich wendet, wenn es darum geht, ein großes Loch in den Boden zu graben.«
»Da gebe ich dir Recht«, sagt
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