Cryptonomicon
Schallplatten perfekt synchronisiert sind. Die einzige Möglichkeit, sie zu synchronisieren, besteht darin, zusammen mit dem Stimmensignal jenes unerträgliche Summgeräusch, eine Trägerwelle, mitzusenden. Wenn alles klappt, kann sich der Plattenspieler am anderen Ende an das Summen anklinken und seine Scheibe genau synchron drehen.
Die Schallplatte ist mit anderen Worten ein Einmalblock. Irgendwo in New York, im Innern der Bell Labs, hinter einer verschlossenen und bewachten Tür, produzieren Techniker noch mehr von den Dingern, die allerneuesten Spitzenreiter in weißem Rauschen. Sie pressen ein paar Exemplare, verschicken sie per Kurier an die Projekt-X-Standorte in aller Welt und vernichten dann die Originale.
Alan und Lawrence würden dieses Gespräch überhaupt nicht führen, wenn Alan nicht vor ein paar Jahren nach Greenwich Village gegangen wäre und ein paar Monate bei Bell Labs gearbeitet hätte, während Lawrence sich auf Qwghlm aufhielt. Die Regierung seiner Majestät schickte ihn dorthin, um Projekt X auszuwerten und ihr dann mitzuteilen, ob es wirklich sicher sei. Alan kam zu dem Schluss, dass es das war – dann kam er nach Hause zurück und begann an einem viel besseren mit Namen Delilah zu arbeiten.
Was zum Teufel hat das mit toten chinesischen Abakus-Sklaven zu tun? Für Lawrence, der durch das Fenster auf die sich drehende Scheibe mit weißem Rauschen starrt, könnte die Verbindung nicht eindeutiger sein. Er sagt: »Als ich das letzte Mal mit dir geredet habe, hast du daran gearbeitet, Zufallsrauschen für Delilah zu erzeugen.«
»Ja«, sagt Alan geistesabwesend. Das ist schon lange her und das ganze Projekt ist in seinem Gedächtnis-Speicher-System VERGRABEN worden; es wird ein, zwei Minuten dauern, es wieder AUSZUGRABEN.
»Welche Art von Algorithmen hast du erwogen, um dieses Rauschen zu erzeugen?«
Es folgen weitere fünf Sekunden Schweigen, dann lässt Alan eine Abhandlung über mathematische Funktionen zur Erzeugung von Pseudo-Zufallssequenzen vom Stapel. Alan hat eine gute, britische Boarding-School-Erziehung genossen und seine Äußerungen sind in aller Regel gut strukturiert, mit Gliederung, Zwischenüberschriften, der ganzen Leier:
PSEUDO-ZUFALLSZAHLEN
I. Vorsicht: In Wirklichkeit sind sie natürlich nicht zufällig, sondern sie sehen nur so aus, daher das Pseudo
II. Übersicht über das Problem
a. Es scheint, als müsste es einfach sein
b. In Wirklichkeit ist es aber ziemlich schwierig
c. Konsequenzen eines Fehlschlags: Die Deutschen entschlüsseln unsere geheimen Botschaften, Millionen sterben, die Menschheit wird versklavt, die Welt in ein ewiges Zeitalter der Finsternis gestürzt
d. Woher man weiß, ob eine Reihe von Zahlen zufällig ist 1, 2, 3… (Eine Liste verschiedener statistischer Verfahren zur Überprüfung von Zufälligkeit nebst ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen)
III. Ein Haufen Zeug, das ich, Alan Turing, ausprobiert habe A, B, C... (eine Liste verschiedener mathematischer Funktionen, mit deren Hilfe Alan Zufallszahlen zu erzeugen versuchte; wie sie fast alle kläglich versagten; Alans anfängliche Zuversicht weicht Überraschung, dann Verärgerung, dann Verzweiflung und schließlich vorsichtiger Zuversicht, als er endlich einige Techniken entdeckt, die funktionieren
IV. Schlussfolgerungen
a. Es ist schwieriger, als es aussieht
b. Es ist nichts für Unbesonnene
c. Es geht, wenn man seine fünf Sinne beisammenhält
d. Rückblickend ein interessantes mathematisches Problem, das weiter erforscht zu werden verdient
Als Alan mit dieser perfekt strukturierten Tour d’horizon durch die Wunderwelt der Pseudo-Zufälligkeit fertig ist, fragt Lawrence: »Und wie steht’s mit Zeta-Funktionen?«
»Die habe ich gar nicht erst erwogen«, sagt Alan.
Lawrence klappt die Kinnlade herunter. Er kann sein halb durchsichtiges, über der sich drehenden Schallplatte liegendes Spiegelbild im Fenster sehen und er erkennt, dass er so etwas wie einen leicht empörten Gesichtsausdruck trägt. Die Ergebnisse der Zeta-Funktion müssen etwas auffallend Nicht-Zufälliges haben, etwas derart ins Auge Springendes, dass Alan sie sofort verworfen hat. Aber Lawrence hat dergleichen nie bemerkt. Er weiß, dass Alan klüger ist als er, aber er ist es nicht gewohnt, so schrecklich weit hinter ihm zu liegen.
»Wieso... wieso nicht?«, stammelt er schließlich.
»Wegen Rudi!«, donnert Alan. »Du und ich und Rudi haben in Princeton alle an dieser verdammten Maschine gearbeitet! Rudi
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