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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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und zwar offensichtlich deshalb, weil sein Duft begonnen hatte, nachtaktive Nagetiere mit einer Neigung zum ziellosen Knabbern anzuziehen.
    Auf dem Strand liegt ein Einbaumkanu und eine mehrere Familien umfassende Schar Bajau-Kinder tobt herum, genau wie Kinder an einer Raststätte an der Interstate, die wissen, dass sie in zehn Minuten wieder in den Winnebago einsteigen müssen. Der Hauptrumpf des Bootes ist aus einem einzigen Regenwald-Stamm geschnitzt, mindestens achtzehn Meter lang und an seiner breitesten Stelle noch so schmal, dass Randy in der Mitte sitzen und mit beiden Händen an die Dollborde heranreichen könnte. Den größten Teil des Rumpfes beschattet ein Dach aus Palmwedeln, das Alter und Salzgischt fast völlig graubraun verfärbt haben, doch an einer Stelle wird es von einer alten Frau mit frischem Grün und Plastikschnur geflickt. Zu beiden Seiten ist ein schmaler Bambus-Ausleger durch Bambusstangen mit dem Rumpf verbunden. Es gibt so etwas wie eine Brücke, die weit über den Bug hinausragt, bemalt mit hellroten, grünen und gelben Kringeln, wie kleine Wirbel, die sich im Kielwasser eines Bootes bilden und die Farben eines tropischen Sonnenuntergangs widerspiegeln.
    Übrigens geht die Sonne tatsächlich gerade unter und man schickt sich an, die letzte Ladung Gold aus dem Rumpf des Einbaums zu holen. Das Land fällt hier so steil zum Wasser hin ab, dass keine Straße zum Strand führt, was wahrscheinlich nur gut ist, weil sie die Sache so ungestört wie möglich über die Bühne bringen wollen. Aber Tom Howard hat eine Menge Zeug hier anlanden lassen, als er sein Haus baute, und daher schon ein kurzes Stück Schmalspureisenbahn in Betrieb. Das hört sich eindrucksvoller an, als es ist: ein Paar bereitsrostende Doppel-T-Träger, an halb im Sand vergrabene Beton-Schwellen geklammert, verlaufen einen achtzehn Meter langen 45-Grad-Anstieg hinauf zu einem kleinen Plateau, das über eine Privatstraße zugänglich ist. Dort steht eine Winde mit Dieselmotor, mit der man Zeug über die Träger heraufziehen kann. Sie ist mehr als ausreichend für die an diesem Abend anliegende Arbeit, die darin besteht, ein paar hundert Kilo Barrengold – den Rest aus dem versunkenen Unterseeboot – vom Strand herauf und in den Tresor in Howards Haus zu schaffen. Morgen können er und die anderen es dann in aller Ruhe in die Innenstadt von Kinakuta fahren und in Folgen von Bits umwandeln, die große Zahlen mit bemerkenswerten kryptologischen Eigenschaften darstellen.
    Die Bajaus zeigen die gleiche hartnäckige Weigerung, exotisch zu sein, wie sie Randy überall auf seinen Reisen angetroffen hat: Der Bursche, der die Show leitet, besteht darauf, er heiße Leon, und die Kinder am Strand verfallen unentwegt in stereotype Nahkampfposen und schreien dazu »hi-yaa!« – ein Attribut der Power Rangers, wie Randy weiß, weil Avis Kinder genau das Gleiche taten, bis ihr Vater jegliche Power-Rangers-Imitation im Haus verbot. Als Leon den ersten Kasten voll Goldbarren von der hohen Brücke des Einbaums fallen lässt, sodass er sich halb in den feinen, feuchten Sand darunter einbohrt, beugt sich Avi darüber und versucht, auf Hebräisch so etwas wie ein feierliches Gebet für die Toten zu sprechen, doch er kommt nur ein halbes Dutzend Phoneme weit, ehe zwei Bajau-Kinder, die ihn als dauerhaft stationäres Objekt einstufen, beschließen, ihn als taktische Deckung zu nutzen, und unter ohrenbetäubendem »Hi-yaaa«-Geschrei zu beiden Seiten von ihm Position beziehen. Avi ist nicht so von sich eingenommen, dass ihm das Komische daran verborgen bliebe, andererseits aber auch nicht so sentimental, dass er nicht erkennbar Lust hätte, die beiden zu erwürgen.
    An der Brandungslinie patrouilliert John Wayne mit einer Zigarette und einer Repetierflinte. Douglas MacArthur Shaftoe schätzt die Wahrscheinlichkeit eines Froschmannangriffs als ziemlich gering ein, weil das Gold im Einbaum nur zweieinhalb Millionen Dollar wert ist, ein Betrag, der etwas so Kompliziertes und Teures wie einen Angriff von See her kaum lohnt. John Wayne ist nur für den Fall hier, dass irgendwer den irrigen Eindruck gewinnt, sie hätten es irgendwie geschafft, zehn- bis zwanzigmal so viel Gold in den Einbaum zu packen. Vom hydrodynamischen Standpunkt aus scheint das unwahrscheinlich. Aber Doug sagt, die Intelligenz des Feindes zu überschätzen sei womöglich noch gefährlicher, als sie zu unterschätzen. Er, Tom Howard und Jackie Woo stehen am oberen Ende des Anstiegs

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