Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
die Frage als hypothetisch; Douglas MacArthur Shaftoe bringt einen Toast auf eine ruhige Überfahrt aus. Noch vor zwei Jahren hätte Randy das banal und einfältig gefunden. Nun versteht er es als Dougs implizite Anerkennung der moralischen Zwiespältigkeit der Welt und als ziemlich geschickten Präventivschlag gegen weitere aufgeblähte Rhetorik. Randy leert seinen Scotch in einem Schluck und sagt: »Packen wir’s an«, und auch das ist von ziemlich atemberaubender Banalität, aber dieses Sich-am-Strand-zu-einem-Kreis-Zusammenschließen macht ihn wirklich nervös; er hat sich verpflichtet, sich an einem Geschäftsunternehmen zu beteiligen, nicht, bei einer Intrige mitzumischen.
    Es folgen vier Tage auf dem Einbaum. Der tuckert Tag und Nacht mit stetigen zehn Stundenkilometern dahin und hält sich in seichten Küstengewässern an der Peripherie der Sulusee. Mit dem Wetter haben sie Glück. Sie stoppen zweimal auf Palawan und einmal auf Mindoro, wo sie jeweils Dieselöl übernehmen und um nicht näher spezifizierte Waren handeln. Ladung kommt in den Rumpf, Leute kommen darüber an Deck, das bloß aus ein paar losen, quer über die Dollborde gelegten Planken besteht. Randy fühlt sich so abgrundtief einsam wie seit seinen Teenager-Jahren als kopflastiger Sonderling nicht mehr, aber er ist deswegen nicht traurig. Er schläft viel, schwitzt, trinkt Wasser, liest ein paar Bücher und spielt mit seinem neuen GPS-Empfänger herum. Dessen hervorstechendstes Merkmal ist eine pilzförmige, externe Antenne, die schwache Signale auffangen kann, was sich im Dschungel mit seinen drei Wachstums-Etagen als nützlich erweisen dürfte. Randy hat Breite und Länge von Golgatha in den Speicher eingegeben, sodass er nur ein paar Knöpfe drücken muss, um zu sehen, wie weit es noch weg ist und in welcher Richtung es liegt. Von Tom Howards Strand aus sind es fast genau tausend Kilometer. Als sich der Einbaum schließlich auf einen Schlickstreifen im Süden von Luzon schiebt und Randy in bester MacArthur-Manier an Land platscht, beträgt die Entfernung nur noch vierzig Kilometer. Aber vor ihm ragen zerklüftete Vulkane auf, schwarz und in Dunst gehüllt, und er weiß aus Erfahrung, dass vierzig Kilometer in der Wildnis sehr viel strapaziöser sein werden als die vorangegangenen neunhundertsechzig.
    Nicht weit weg, über den Kokospalmen, erhebt sich der Glockenturm einer alten spanischen Kirche, errichtet aus Blöcken von vulkanischem Tuff, die soeben im Funkeln des typisch irren tropischen Sonnenuntergangs zu glühen beginnen. Nachdem sich Randy noch ein paar zusätzliche Flaschen Wasser geschnappt und sich von Leon und seiner Familie verabschiedet hat, marschiert er darauf zu. Im Gehen löscht er die Angaben zur Lage von Golgatha aus seinem GPS, falls es konfisziert oder geklaut wird.
    Sein nächster Gedanke sagt etwas über seine Gemütsverfassung aus: dass Nüsse die Genitalien von Bäumen sind, liegt niemals deutlicher auf der Hand, als wenn man ein Büschel strotzender junger Kokosnüsse betrachtet, die in die haarige dunkle Scham einer Palme eingebettet sind. Erstaunlich, dass die spanischen Missionare nicht die ganze Art haben ausrotten lassen. Wie auch immer, bis er bei der Kirche angelangt ist, hat er ein Gefolge kleiner Filipino-Kinder mit nacktem Oberkörper um sich geschart, die es nicht gewohnt sind, aus dem Nichts weiße Männer erscheinen zu sehen. Davon ist Randy nicht gerade begeistert, aber er wäre schon froh, wenn niemand die Polizei ruft.
    Vor der Kirche ist, umringt von beeindruckten Dorfbewohnern, ein japanisches Mehrzweck-Sportfahrzeug der anbetungswürdig gestalteten Sorte mit beunruhigend hohem Schwerpunkt geparkt. Randy fragt sich, ob es eigentlich noch auffälliger gegangen wäre. Der um die fünfzig Jahre alte Fahrer lehnt an der vorderen Stoßstange, raucht eine Zigarette und klönt mit ein paar örtlichen Würdenträgern: einem Priester und, Herr des Himmels, einem Cop mit einem verdammten Repetiergewehr. So gut wie alle Anwesenden rauchen Marlboros, die anscheinend als Geste des guten Willens verteilt worden sind. Randy muss sich in philippinische Gemütsverfassung zurückversetzen:Wenn man sich in das Land einschleichen will, inszeniert man nicht irgendeine Nacht-und-Nebel-Aktion, bei der man in einem mattschwarzen Neopren-Anzug auf einen einsamen Strand robbt, sondern man kommt einfach angetanzt und freundet sich mit jedem an, der einen zu Gesicht bekommt. Es ist nämlich nicht so, dass die Leute hier

Weitere Kostenlose Bücher