Cryptonomicon
blöd sind; sehen tun sie einen auf jeden Fall.
Randy raucht eine Zigarette. Zum ersten Mal hat er das vor ein paar Monaten getan, als er sich endlich klar machte, dass es sich um eine Sache gesellschaftlicher Formen handelt, dass manche Leute es als Beleidigung auffassen, wenn man eine angebotene Zigarette ablehnt, und dass ein paar Zigaretten ihn ohnehin nicht umbringen werden. Von dem Fahrer und dem Priester abgesehen, spricht keiner von den Leuten hier auch nur ein Wort Englisch, sodass er nur auf diese Weise mit ihnen kommunizieren kann. Und außerdem, warum soll er angesichts all der Veränderungen, die er durchgemacht hat, nicht auch zum Zigarettenraucher werden, wo er gerade dabei ist? Vielleicht schießt er sich nächste Woche Heroin. Für etwas Ekelhaftes und Tödliches sind Zigaretten erstaunlich angenehm.
Der Fahrer heißt Matthew und ist, wie sich herausstellt, im Grunde weniger ein Fahrer als vielmehr ein charismatischer Strippenzieher /Unterhändler, ein Wegebner, ein menschlicher Straßenplanierer. Randy steht einfach untätig herum, während Matthew sie beide auf charmante und urkomische Weise von dieser improvisierten Dorf-Versammlung loseist, eine Aufgabe, die wahrscheinlich nahezu unlösbar wäre, wenn der Priester sich nicht eindeutig zum Komplizen machte. Der Cop wendet sich um Stichworte zum weiteren Vorgehen an den Priester, der ihm unter Blicken und Gesten etwas Kompliziertes erklärt, und auf diese Weise findet Randy irgendwie auf den Beifahrersitz des Mehrzweck-Sportfahrzeugs und Matthew setzt sich hinters Steuer. Lange nach Sonnenuntergang zuckeln sie auf einer abscheulichen, einspurigen Straße zum Dorf hinaus, verfolgt von Kindern, die nebenher laufen und sich mit einer Hand am Wagen festhalten, wie Secret-Service-Agenten beim Begleitschutz. Das halten sie eine ganze Weile durch, weil die Straße erst nach ein paar Kilometern so gut wird, dass Matthew aus dem ersten Gang hochschalten kann.
In diesem Teil der Welt ist es überhaupt nicht sinnvoll, nachts zu fahren, aber Matthew lag sichtlich nichts daran, in diesem Dorf zu übernachten. Randy hat eine ziemlich gute Vorstellung davon, was ihm bevorsteht: viele Stunden langsamer Fahrt auf gewundenen Straßen, halb versperrt von Haufen frisch geernteter junger Kokosnüsse und blockiert von quer über die Fahrbahn geworfenen Baumstämmen, die als Schwellen zur Geschwindigkeitsbegrenzung dienen, damit Kinder und Hunde nicht überfahren werden. Er lehnt sich im Sitz zurück.
Grelles Licht strömt in den Wagen und er denkt: Straßensperre, Cops, Suchscheinwerfer. Die Straße wird von einer Silhouette verstellt. Am Fenster ist ein Klopfen zu hören. Randy schaut hinüber und sieht, dass der Fahrersitz leer ist und der Schlüssel nicht steckt. Der Wagen ist kühl, steht schon länger. Randy richtet sich auf und reibt sich das Gesicht, teils weil er das Bedürfnis dazu verspürt, teils weil es vermutlich klug ist, seine Hände deutlich zu zeigen. Weiteres, zunehmend ungeduldiges Klopfen an der Scheibe. Die Fenster sind beschlagen und er kann nur Formen erkennen. Das Licht ist rötlich. Er hat ganz unpassenderweise eine Erektion. Er tastet nach der Fensterkurbel, aber der Wagen hat elektrische Fensterheber, die nur funktionieren, wenn der Motor läuft. Randy tastet an der Tür herum, bis er heraushat, wie man sie aufschließt; fast im selben Moment fliegt sie auf und jemand kommt zu ihm herein.
Sie landet schließlich quer über ihm liegend auf seinem Schoß und ihr Kopf ruht an seiner Brust. »Mach die Tür zu«, sagt Amy und Randy gehorcht. Dann dreht und windet sie sich, bis sie ihn von Angesicht zu Angesicht sieht, und das Gravitationszentrum ihres Beckens reibt sich erbarmungslos an dem riesigen Bereich zwischen Bauchnabel und Oberschenkeln, der in den letzten Monaten ein einziges großes Geschlechtsorgan für ihn geworden ist. Sie klemmt seinen Hals zwischen ihren Unterarmen ein und packt die beiden Stangen der Kopfstütze. Er ist wehrlos. Das Naheliegende wäre nun ein Kuss und sie täuscht auch etwas in dieser Richtung an, überlegt es sich dann jedoch anders, da es scheint, als wäre zunächst ein ernsthafter Blickwechsel angezeigt. Also sehen sie einander gut eine Minute lang an. Es ist kein verträumter Blick, den sie da wechseln, keineswegs eine Sache glänzender Augen, sondern eher etwas von der Wie-sind-wir-da-bloßreingeraten- Sorte. Als wäre es beiden wirklich wichtig, dass sie sich bewusst sind, wie ernst das Ganze ist.
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