Cryptonomicon
Gefühlsmäßig, ja, aber auch vom juristischen und, mangels eines besseren Begriffs, militärischen Standpunkt aus. Doch sobald Amy sich überzeugt hat, dass ihr Knabe es tatsächlich kapiert, und zwar an allen drei Fronten, erlaubt sie sich ein leicht ungläubig wirkendes Feixen, das zu einem breiten Grinsen und schließlich zu einem Kichern erblüht, welches sich bei einer Frau mit weniger kräftigen Armen als Giggeln charakterisieren ließe, und dann zieht sie, bloß um sich zum Schweigen zu bringen, kräftig an den Stahlstangen der Kopfstütze, schmiegt ihr Gesicht an Randys, schnuppert und schnobert zehn Herzschläge lang forschend und küsst ihn dann. Es ist ein keuscher Kuss, der lange braucht, um sich zu öffnen, was nicht nur vollkommen zu Amys vorsichtiger, süffisanter Art, an alles heranzugehen, sondern auch zu der einst auf der Fahrt nach Whitman angedeuteten Hypothese passt, dass sie tatsächlich noch Jungfrau ist.
In diesem Augenblick ist Randys Leben im Wesentlichen erfüllt. Er hat, während sich das alles abspielte, schließlich begriffen, dass das zum Fenster hereinscheinende Licht von der Morgendämmerung herrührt, und versucht, den Gedanken zu unterdrücken, dass es ein guter Tag zum Sterben ist, denn ihm ist klar, dass er zwar künftig vielleicht viel Geld verdienen, berühmt werden oder sonst etwas anfangen kann, dass aber nichts diesen Moment je übertreffen wird. Auch Amy weiß das und sie lässt den Kuss sehr lange dauern, ehe sie ihn schließlich mit leichtem Luftschnappen abbricht und den Kopf neigt, sodass ihre Stirn auf seinem Brustbein liegt und die Wölbung ihres Kopfes der seines Halses folgt, wie die Küstenlinie Südamerikas der Afrikas. Randy kann ihren Druck auf seinem Unterleib fast nicht mehr ertragen. Er stemmt die Füße gegen den Boden des Mehrzweck-Sportfahrzeugs und windet sich.
Plötzlich bewegt sie sich rasch und entschlossen, packt den Saum des linken Beins seiner schlabberigen Shorts, zerrt ihn bis fast zu seinem Nabel hoch und nimmt seine Boxershorts gleich mit. Randy schießt hervor und zielt auf sie, reckt sich, bei jedem Herzschlag leise schwankend, mit im Dämmerlicht gesundem Schimmer (wie er in aller Bescheidenheit findet) nach oben. Amy hat eine Art leichten Wickelrock an, den sie plötzlich über ihn wirft, was einen flüchtigen Zeltstangeneffekt erzeugt. Aber sie bleibt in Bewegung, greift unter den Rock, um ihre Unterwäsche wegzuziehen, und ehe er richtig glauben kann, dass es passiert, setzt sie sich hart auf ihn, was einen beinahe elektrischen Schlag erzeugt. Dann hört sie auf, sich zu bewegen – eine Herausforderung an ihn.
Randys Zehenknöchel knacken hörbar. Er hebt sich und Amy in die Luft, erlebt eine Art synästhetische Halluzination, ganz ähnlich wie die berühmte »Sprung in den Hyperraum«-Szene aus Star Wars. Oder hat sich vielleicht versehentlich der Airbag ausgelöst? Dann spritzt er ungefähr einen halben Liter Samen aus – eine scheinbar endlose Folge von Ejakulationen, und jede ist mit der nächsten nur durch die Glaubensgewissheit verbunden, dass noch eine kommt – und am Ende hört sie auf, wie alles, was sich auf Glaube und Hoffnung gründet, und Randy sitzt vollkommen still, bis seinem Körper bewusst wird, dass er schon eine ganze Weile keine Luft mehr geholt hat. Er füllt sich vollständig die Lungen, dehnt sie, ein fast genau so schönes Gefühl wie der Orgasmus, und schlägt dann die Augen auf – sie schaut verwirrt, aber (Gott sei Dank!) nicht entsetzt oder angewidert auf ihn herab. Er macht es sich wieder in dem Schalensitz bequem, der ihm in einer nicht unangenehmen Geste leichter Zudringlichkeit den Hintern drückt. Das, Amys Oberschenkel und andere wechselseitige Durchdringungen werden ihn noch eine ganze Weile hier festhalten und er hat ein bisschen Angst davor, was Amy sagen wird – sie hat die Auswahl aus einem großen Menü möglicher Antworten auf das Ganze, und fast alle davon gehen auf Randys Kosten. Sie setzt ein Knie auf, stemmt sich hoch, packt den Zipfel seines Hawaiihemdes und wischt sich kurz ab. Dann stößt sie die Wagentür auf, tätschelt ihm zweimal die behaarte Wange, sagt »Rasier dich« und tritt nach links von der Bühne ab. Nun kann Randy erkennen, dass sich der Airbag tatsächlich nicht ausgelöst hat. Und dennoch hat er das gleiche Gefühl einer tief greifenden Lebensveränderung, das man beispielsweise empfindet, wenn man einen Autounfall überlebt.
Er sieht unmöglich aus. Zum Glück
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