Cryptonomicon
liegt seine Tasche auf dem Rücksitz, mit einem Hemd zum Wechseln.
Ein paar Minuten später steigt er schließlich aus dem Wagen aus, dessen Scheiben beschlagen sind, und wirft einen Blick auf seine Umgebung. Er befindet sich in einem Gemeinwesen, das unter ein paar in weiten, unregelmäßigen Abständen verteilten Kokospalmen auf einem schrägen Plateau errichtet ist. Hangabwärts, in grober Südrichtung, ist ein Vegetationsmuster zu sehen, das Randy als Cash-crop-Anpflanzung auf drei Etagen erkennt: unten am Boden Ananas, ungefähr auf Kopfhöhe Kakao und Kaffee und darüber Kokosnüsse und Bananen. Die gelblich-grünen Blätter der Bananenbäume sind besonders einladend und so groß, dass es den Anschein hat, als könnte man sich darauf ausstrecken und sonnenbaden. Nach Norden hin, hangaufwärts, versucht ein Dschungel, einen Berg niederzureißen.
Die Siedlung, in der er sich hier befindet, ist offensichtlich erst in jüngerer Zeit entstanden, von richtigen Landmessern geplant, von gebildeten Menschen entworfen und von jemandem gefördert, der sich nagelneues Wellblech, ABS-Abflussrohre und ein richtiges Stromnetz leisten kann. Mit einer normalen philippinischen Stadt hat sie insofern etwas gemeinsam, als sie um eine Kirche herum gebaut ist. In diesem Falle ist die Kirche klein – Enoch hat sie als Kapelle bezeichnet -, aber dass sie von finnischen Architekturstudenten entworfen wurde, läge für Randy auch dann auf der Hand, wenn Enoch es nicht verraten hätte. Sie hat ein bisschen was von Bucky Fullers »Tensegrity«-Auffassung vorzuweisen – viel freiliegende, unter Spannung stehende Stahlkabel, die von den Enden röhrenförmiger Pfeiler ausstrahlen und alle zusammen ein Dach halten, das nicht aus einer einzelnen Fläche, sondern aus einem System gebogener Scherben besteht. Für Randy, der Gebäude mittlerweile einzig und allein nach dem Kriterium ihrer Erdbebentauglichkeit beurteilt, sieht das Ganze nach einer höchst gelungenen Konstruktion aus. Root hat ihm erzählt, sie sei von den Brüdern eines Missionarsordens und von einheimischen Freiwilligen gebaut worden und das Material habe eine japanische Stiftung beigesteuert, die immer noch Wiedergutmachung für den Krieg leiste.
Aus der Kirche dringt Musik. Randy sieht auf seine Uhr und stellt fest, dass es Sonntagmorgen ist. Er umgeht die Teilnahme an der Messe unter dem Vorwand, sie habe schon begonnen und er wolle nicht stören, und spaziert zu einem einen nahe gelegenen Pavillon – ein Wellblechdach, das einen Betonboden mit ein paar Plastiktischen beschattet -, wo gerade zum Frühstück gedeckt wird. Dabei gibt er Anlass zu einer heftigen Kontroverse unter einer frei laufenden Schar von Hühnern, die seinen Weg kreuzen und offenbar partout nicht dahinter kommen, wie sie ihm ausweichen können; sie haben Angst vor ihm, sind aber zu minderbemittelt, um diese Angst in eine schlüssige Vorgehensweise umsetzen zu können. Mehrere Meilen weit weg kommt vom Meer her ein Hubschrauber angeflogen, der rasch an Höhe verliert, während er einen Landeplatz oben im Dschungel ansteuert. Es ist ein großer, unnötig lauter Lastenhubschrauber mit ungewohnten Konturen und Randy hat den vagen Verdacht, dass er in Russland für chinesische Kunden gebaut wurde und zu Wings Unternehmen gehört.
Er erkennt Jackie Woo, der sich an einem der Tische fläzt und eine Hochglanzzeitschrift liest. Amy ist in der angrenzenden Küche und klönt auf Tagalog mit ein paar Frauen mittleren Alters, die mit den Vorbereitungen für das Essen beschäftigt sind. Hier scheint es ziemlich sicher zu sein, deshalb bleibt Randy im Freien stehen, tippt die Zahlen ein, die nur er und Goto Dengo kennen und nimmt eine GPS-Peilung vor. Dem Gerät zufolge sind sie nicht weiter als 4500 Meter vom Hauptschacht von Golgatha entfernt. Randy überprüft die Richtung und stellt fest, dass er von hier aus gesehen hangaufwärts liegt. Zwar verwischt der Dschungel die darunter liegenden Geländeformen, doch Randy glaubt, dass sich die Anlage im Tal eines nahe gelegenen Flusses befindet.
4500 Meter erscheinen ihm unmöglich nahe, und während er dasteht und versucht, sich zu überzeugen, dass sein Gedächtnis noch funktioniert, springt plötzlich die Kapellentür auf und die dilettantischen Stimmen der Gottesdienstbesucher schallen durch die Siedlung. Enoch Root kommt heraus, bekleidet (zwangsläufig) mit etwas, das Randy als Gewand eines Zauberers bezeichnen würde. Doch im Gehen streift er es ab, sodass
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