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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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stehen sie hier, wo hunderttausend tropische Gewitterregen an ihren Körpern hinuntergeflossen sind und sie glatt poliert haben.
    Avi befasst sich mit einem viel kürzeren Zeithorizont – seine ganze Aufmerksamkeit gilt den Einschusslöchern, die diese Soldaten weit mehr entstellt haben als Zeit und Wasser. Wie der ungläubige Thomas legt er seine Finger hinein. Dann tritt er einen Schritt zurück und fängt an, auf Hebräisch vor sich hin zu murmeln. Zwei deutsche Touristen mit Pferdeschwänzen spazieren in rustikalen Sandalen durchs Tor.
    »Uns bleiben noch fünf Minuten«, mahnt Randy.
    »Okay, lass uns aber später noch mal hierher kommen.«
     
     
     
    Charlene hatte nicht ganz Unrecht gehabt. Zehn oder fünfzehn Minuten, nachdem er sich rasiert hat, sickert noch Blut aus winzigen, unsichtbaren, schmerzlosen Schnittwunden in Randys Gesicht und an seinem Hals. Wenige Augenblicke zuvor schoss dieses Blut noch durch seine Ventrikel oder durchdrang die Teile seines Gehirns, die ihn zu einem bewussten Wesen machen. Jetzt ist genau dieses Zeug der Luft ausgesetzt; er kann hinfassen und es wegwischen. Die Grenze zwischen Randy und der ihn umgebenden Welt ist zerstört.
    Er nimmt eine große Tube wasserfeste Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor und reibt sich Gesicht, Hals, Arme und das kleine Fleckchen Haut oben auf dem Kopf ein, wo sein Haar schütter wird. Dann zieht er Kakihosen, Bootsschuhe und ein weites Baumwollhemd an, dazu eine Gürteltasche mit seinem GPS-Empfänger und dem Allernötigsten wie einem Bündel Toilettenpapier und einer Wegwerfkamera. Als er seinen Schlüssel an der Rezeption abgibt, müssen die Angestellten alle zweimal hinschauen und grinsen. Die Hotelpagen scheinen über seine Verwandlung besonders entzückt. Vielleicht aber auch nur, weil er diesmal Lederschuhe anhat:Topsider, die er immer als Markenzeichen kraftloser Schnösel betrachtet, für die er sich heute aber aus guten Gründen entschieden hat. Hotelpagen halten ihm eilfertig die Eingangstür auf, doch Randy geht durch die Halle zur Rückseite des Hotels, um den Swimmingpool herum und durch eine Reihe von Palmen zu einem steinernen Geländer oben auf der Ufermauer. Unterhalb von ihm ragt der Bootssteg des Hotels in eine kleine Bucht hinein, die sich zur Manila Bay hin öffnet.
    Das Boot, das ihn abholen soll, ist noch nicht da, und so steht er einen Augenblick am Geländer. Eine Seite der Bucht ist vom Rizal Park her zugänglich. Ein paar griesgrämige Illegale hängen auf den Bänken herum, starren ihn an. Unterhalb des Wellenbrechers steht ein nur mit Boxershorts bekleideter Mann mittleren Alters mit einem spitzen Stock in der Hand bis zu den Knien im Wasser und stiert mit katzenhafter Anspannung ins plätschernde Wasser. Ein schwarzer Helikopter zieht an einem zuckerweißen Himmel in Schräglage langsame Kreise. Es ist ein Huey aus Vietnamkriegszeiten, ein knatternder Hubschrauber, der zudem noch ein wildes, reptilienartiges Zischen von sich gibt, als er über ihn hinweg gleitet.
    In dem Dunst, der aus der Manila Bay aufsteigt, wird ein Boot sichtbar; mit abgestelltem Motor gleitet es in die kleine Bucht hinein, wobei es eine Bugwelle vor sich herschiebt, die wie eine Falte in einem schweren Teppich aussieht. Eine große schlanke Frau steht, in der Hand ein aufgerolltes Tau, wie eine lebendige Galionsfigur regungslos am Bug.
     
     
     
    Weil Manila so nah am Äquator liegt, sind die großen Satellitenschüsseln auf dem Dach des PTA-Gebäudes, Vogeltränken gleich, fast gerade nach oben ausgerichtet. Aus den Kugel- und Schrapnelllöchern in seinen Steinmauern löst sich die Füllmasse, mit der sie nach dem Krieg verspachtelt wurden. Von den Fensterlüftern in der Mitte der romanischen Bögen tropft das Wasser auf die Kalksteinbalustrade darunter und löst sie allmählich auf. Der Kalkstein ist von irgendeinem organischen Schleim schwarz geworden und übersät mit den Wurzelgeflechten kleiner Pflanzen, die sich darin festgesetzt haben – vermutlich aus Samen, den die Vögel, die illegalen Siedler der Lüfte, die sich hier zum Baden und Trinken versammeln, in ihrem Kot mitgebracht haben.
    In einem getäfelten Konferenzraum warten ein Dutzend Leute, zur Hälfte große Tiere, die am Tisch sitzen, und zur Hälfte deren Trabanten, die sich dahinter an die Wand drücken. Als Randy und Avi eintreten, hebt ein aufgeregtes Händeschütteln und Visitenkartentauschen an, wobei die meisten Namen durch Randys Kurzzeitgedächtnis düsen wie

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