Cryptonomicon
Beobachtungspunkt – ein Ort, an dem Informationen über nahende Schiffe gesammelt werden konnten.«
Schnitt zur Aufnahme eines Lastkahns irgendwo in einer kleinen Bucht, von dem dicke teerige Kabel über Bord gehievt werden, und Tauchern, die mit Schlangen aus runden orangefarbenen Bojen arbeiten. »Heute ist Corregidor aufgrund seiner Lage ein idealer Ort, um faseroptische Tiefseekabel zu verlegen. Die Informationsdaten, die – aus Taiwan, Hongkong, Malaysia, Japan und den Vereinigten Staaten – durch diese Kabel ankommen, können von dort direkt ins Herz von Manila übertragen werden. Und das in Lichtgeschwindigkeit !«
Und wieder 3-D. Diesmal ist es eine detaillierte Wiedergabe der Großstadtlandschaft von Manila. Randy kennt sie in- und auswendig, denn er hat die Daten für das verdammte Ding zusammengesucht, während er mit seinem GPS-Empfänger durch die Stadt lief. Der Bit-Strahl von Corregidor kommt direkt aus der Bucht und trifft genau auf die Flächenantenne auf einem nichts sagenden vierstöckigen Bürogebäude zwischen Fort Santiago und der Kathedrale von Manila. Es ist der Sitz von Epiphyte, und die Antenne ist ganz dezent mit Name und Logo von Epiphyte Corp. versehen. Weitere Antennen übertragen die Information dann weiter zum PTA-Gebäude und anderen nahe gelegenen Stellen: Wolkenkratzern in Makati, Regierungsgebäuden in Quezon City und einer Luftwaffenbasis südlich von Manila.
Hotelangestellte schieben eine mit einem Teppich ausgelegte Gangway über die Kluft zwischen Mauer und Boot. Als Randy darüber läuft, streckt die Frau ihm die Hand entgegen. Er greift danach, um sie zu schütteln. »Randy Waterhouse«, sagt er.
Sie packt seine Hand und zieht ihn aufs Boot – weniger, indem sie ihn grüßt, als vielmehr indem sie aufpasst, dass er nicht über Bord fällt. »Hi. Amy Shaftoe«, erwidert sie. » Glory heißt Sie willkommen!«
»Wie bitte?«
» Glory . Diese Dschunke heißt Glory «, erklärt sie. Sie spricht offen und sehr deutlich, als verständigten sie sich durch ein gestörtes Funksprechgerät. »Genau genommen ist es die Glory IV «, fährt sie fort. Ihr Akzent ist eigentlich der des Mittelwestens, dazu kommt aber ein leichtes Südstaatennäseln und noch ein bisschen Philippinisch. Sähe man sie auf den Straßen irgendeiner Stadt im mittleren Westen, würden einem die Spuren asiatischer Abstammung um ihre Augen nicht auffallen. Ihr dunkelbraunes, von goldenen Strähnen durchzogenes Haar ist gerade so lang, dass sie es zu einem festen Pferdeschwanz binden kann, nicht länger.
»’tschuldigen Sie mich’ne Minute«, sagt sie, steckt den Kopf ins Ruderhaus und spricht in einer Mischung aus Tagalog und Englisch mit dem Steuermann. Der nickt, schaut sich um und fängt an, die Steuerung zu bedienen. Die Hotelangestellten ziehen die Gangway zurück. »He«, sagt Amy ruhig und wirft jedem von ihnen per Unterhandwurf über die Kluft hinweg eine Packung Marlboro zu. Sie fangen sie aus der Luft auf, grinsen und danken ihr. Die Glory IV entfernt sich langsam vom Kai.
Die nächsten paar Minuten geht Amy, während sie auf Deck umherläuft, im Kopf eine Art Checkliste durch. Randy zählt außer Amy und dem Steuermann noch vier Männer – zwei Weiße und zwei Filipinos. Alle machen sich auf eine Weise an Maschinen oder Tauchausrüstungen zu schaffen, die Randy über viele kulturelle und technologische Barrieren hinweg als Fehlersuche erkennt. Amy geht mehrmals an Randy vorbei, vermeidet es jedoch, ihm in die Augen zu sehen. Obwohl sie nicht schüchtern und ihre Körpersprache beredt genug ist: »Mir ist bewusst, dass Männer die Angewohnheit haben, Frauen, die sich zufällig in ihrer Nähe befinden, in der Hoffnung anzuschauen, dass ihre physische Schönheit, ihr Haar, ihr Duft, ihre Kleidung sie anmachen. Ich werde das höflich und geduldig ignorieren, bis du darüber hinweg bist.« Amy ist eine langbeinige Frau in farbbeklecksten Jeans, einem ärmellosen T-Shirt und Hightech-Sandalen, und sie bewegt sich mit federnden Schritten über das Boot. Schließlich geht sie auf ihn zu, erwidert eine Sekunde lang seinen Blick und schaut dann wie gelangweilt weg.
»Danke, dass Sie mich fahren«, sagt Randy.
»Keine Ursache«, entgegnet sie.
»Es ist mir unangenehm, dass ich den Jungs am Kai kein Trinkgeld gegeben habe. Kann ich Sie dafür entschädigen?«
»Sie können mich mit Information entschädigen«, antwortet sie, ohne zu zögern. Amy hebt die Hand, um sich hinten am Hals zu kratzen. Ihr
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