Crystall (German Edition)
ihre Peinlichkeit in die Höhe, auch nur für Sekunden an Nawarhons Loyalität gezweifelt zu haben. Er war ein aufrechter Prinz.
Eine Stunde? Dann sollte sie zusehen, dass sie noch ein wenig friedfertige Umgebung kennen lernte. Sie machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Karawane.
Der Weg führte sie aus der unmittelbaren Nähe des Lagers durch einen kleinen, spärlich von dürren Bäumen besetzten Wald, der mehr hindurchblicken ließ, als er verhüllte. Schon nach wenigen Minuten trat sie an der anderen Seite wieder heraus und fand sozusagen ein stilles Plätzchen. Mandy schlich über den niedergetrampelten Rasen, der so feucht war, dass sie einen Moment befürchtete, in ein Moor geraten zu sein. Den Gedanken verwarf sie allerdings rasch wieder, denn nach höchstens zehn Schritten blieb sie stehen und vor ihr zog sich ein mindestens fünfzig Fuß breiter Fluss entlang. Unter ihren Sohlen gab es ein patschendes Geräusch, als würde sie unentwegt auf Frösche treten und Wasser lief an deren Seiten vorbei. Dennoch ließ sich Mandy vor dem fließenden Gewässer nieder und schlang die Arme um die angezogenen Beine. Seltsamerweise war ihr weder kalt, noch feucht unter dem Gesäß. Wahrscheinlich drückten ihre Füße mit deutlich mehr Gewicht auf den Boden.
Noch vor Augenblicken hatte Mandy die fröhlich tobende Menge genossen, doch diesmal störte sie die Einsamkeit kein Stück. Im Gegenteil. Sie war beinahe froh, allein zu sein und über verschiedenes nachdenken zu können.
Während bei der Karawane das beste Sonnenwetter geglänzt hatte, schien hier ein vollkommen anderes Fleckchen Erde zu sein. Am Himmel waren zwar hauchdünne, aber auch alles verhüllende Wolken. Der Wald, so licht er sein mochte, ließ keinen Sonnenstrahl durchblinzeln. Kurzum, die Atmosphäre war diesig, begleitet von einem zarten Lüftchen.
Mandy sah wieder zum Fluss hinab. Trotz seiner Breite lag er unglaublich ruhig, fast wie ein See. Nur mit großer Anstrengung vermochte das Mädchen hier und da eine winzige Welle auszumachen. Zudem konnte sie sich nicht vorstellen, darin zu baden oder auch nur Wasser mit der Hand zu schöpfen, denn er war so verdreckt von Schlamm und ähnlichem, dass sie sich nicht mehr darin spiegeln konnte. Höchstwahrscheinlich gab es hier sogar Krokodile. Außerdem wäre sie in diesem Fluss unter Garantie orientierungslos abgetrieben, denn Millimeter über dem Wasser zog sich eine Decke von weißem Nebel dahin, manchmal in Fetzen, manchmal so undurchdringlich dick, dass die berühmten Haufenwolken nicht mithalten konnten.
Der Fluss würde eine Falle für jeden unerfahrenen Schwimmer werden.
Mandy tat diesen Gedanken mit einem Lächeln ab. Sie hatte nicht vorgehabt, darin zu baden. Außerdem sollte es nicht mehr lange dauern, bis Nawarhon die Karawane zum Weiterreisen bewegte. Und natürlich hatte er Recht, um so früher sie ankamen, desto mehr Zeit würde ihnen bleiben.
Für was eigentlich?
Nicht zum ersten Mal fürchtete sie sich vor der Antwort. Alles war irgendwie so aussichtslos. Auch wenn Nawarhon sich die beste Mühe gab, alles positiv zu sehen, so konnte auch er nicht wirklich leugnen, dass sie mit diesen Leuten an ihrer Seite keine Chance haben würden. In Nectar damals besaßen sie weit aus mehr Krieger, als nun Gaukler, deutlich bessere Waffen und den Vorteil der Heimat und guten Vorbereitung. Trotzdem hatten sie damals verloren. Wie konnte sich der Prinz einbilden, nun eine Chance haben zu können? Er schickte die Leute in den sicheren Tod, wenn nicht ein Wunder geschehen würde. War es vielleicht diese süße Versuchung der Macht, die ihn zu verantwortungslosen Taten verführte? Andererseits hatte Mandy nicht den Mut, ihm das persönlich zu sagen.
Aber selbst wenn sie wirklich gegen die schwarzen Reiter gewinnen sollten, was wäre danach? Seit Sators Gespräch in der Wüste sah sie alles mit ganz anderen Augen. Während ihre Freunde alles daran gesetzt hatten, ihr die Sache zu verschönigen, machten Sators Worte überdeutlich klar, dass diese Prüfung ganz gewiss kein Zuckerschlecken war. Was würde mit der Welt und ihr geschehen, wenn sie versagte? Nein, für ...
In Mandys Gedanken zwang sich ein neuer Laut, beinahe so etwas wie ein Tappen von Pfoten. Sie spannte sich instinktiv, blieb aber bewegungslos sitzen. Ganz langsam drehte sie ihren Kopf zur Seite, als das Rascheln von Laub deutlicher wurde.
Da kam jemand aus dem Wald, sehr langsam, als würde sich derjenige anschleichen.
Mandy
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