Crystall (German Edition)
Schneedecke überzogen. Momentan stellte das alles aber noch keine Hürde für die Pferde dar; ihre Reiter schienen weitaus größere Probleme zu haben. Es schneite nur sacht und der Wind blieb nichts als streifender Hauch, dennoch führte er eine eisige Kälte mit sich. Nicht nur Mandy hatte in die Bündel gegriffen und einen Fellmantel umgelegt. Sie war erstaunt, dass dieser sogar offen fast alle Schärfe des Windes abfing.
Mandy ritt jetzt viel steifer und komplizierter auf ihrem Pferd, klammerte sich mit beinahe verzweifelter Kraft an den Riemen fest. Sie musste die Augen zusammenkneifen, wenn der Wind ihr ins Gesicht heulte und die Haare auffladerte. Trotzdem entgingen ihr die Vorboten des nahenden Untergangs nicht und sie las in den Gesichtern der anderen das gleiche Erschrecken, das sie selbst empfand. Risse zeichneten hier und da den Boden. Noch waren sie schmal und so gut wie harmlos, die meisten der blitzartigen Spalten befanden sich nicht einmal unmittelbar auf ihrem Weg. Dennoch war es ein Anzeichen, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb. Mandy konnte sich bildlich vorstellen, was passieren mochte, wenn aus den Erdspalten Schluchten werden.
Letztlich dauerte der Ritt doch länger, als Mandy angenommen hatte. Sie musste sich in der Entfernung maßlos getäuscht haben – nicht alles, was sichtbar war, sollte auch gleich erreichbar sein – und die Wetterbedingungen völlig unterschätzt. Die Pferde kamen nur sehr langsam voran, denn der Boden wurde merklich glätter und der Gegenwind stemmte sich wie ein Widerstand gegen die Kraft der Tiere. Kurzum, ihr Weg war noch weit.
Eine gute halbe Stunde verstrich, ehe sie den Hang abgestiegen waren und durch das Tal ritten. Von dem Kristallgebirge waren lediglich die Kämme sichtbar und Mandy rechnete in Gedanken noch einen halben Tag hinzu. Höchstwahrscheinlich würden sie ihr Ziel doch erst mit Anbruch des neuen Morgens erreichen. Bei diesem Gedanken befiel Mandy fast ein Schüttelfrost. In dieser Kälte und öden Umgebung die Nacht zu verbringen, trug nicht unbedingt zu ihrem Wohlbefinden bei.
Das Tal musste groß sein und Mandy hörte auf, die Minuten zu schätzen, die sie unterwegs waren. Auch konnte sie die Tageszeit nur raten, denn die Sonne war erstens hinter den Bergen verschwunden und zweitens zog sich ein Band aus Haufenwolken wie eine neue Schicht unter den Himmel. Sie waren schwer und grau und zeugten davon, dass es bald neuen Schnee geben musste.
Der Trupp verhielt sich in erbittertem Schweigen und kam von Minute zu Minute schwerfälliger voran. Es war nicht mühsam zu erraten, dass eine allgemeine Erschöpfung die Reisenden befiel, nicht nur Mandy. Allmählich kamen ihr sogar leise Zweifel, jemals ihr Ziel zu erreichen. Außerdem zählten sich nicht mehr viel Mann, vielleicht kaum genug, um gegen eine legendäre Bestie zu bestehen. Was vor zwei Tagen eine stattliche Karawane gewesen war, glich nun einem Reitertrupp aus Verzweifelten, wahrscheinlich sogar Übermütigen. Ihre Chancen sanken ins Erbärmliche, denn mit dem Beginn der Eisöde waren neuerliche Wüstenkrieger umgekehrt. Weder Nawarhon, noch Sator hatten versucht, sie daran zu hindern. Ein wenig konnte es Mandy verstehen, für Tuaregs musste dies hier die Hölle sein.
Ihr Vordermann blieb so plötzlich stehen, dass Mandy beinahe gegen das andere Pferd geprallt wäre. Mit einem harten Ruck zwang sie ihr eigenes zum Stehen und blinzelte aufmerksam nach vorn. Nicht nur der Vordermann, sondern gleich der ganze Trupp hatte gehalten. Fragliches Gemurmel drang in das Windgeheul, bis der Prinz schließlich zurück ritt und neben Lyhma hielt. „Ich habe etwas zu erledigen, pass auf die Männer auf, Schwester. Ich weiß den Trupp lieber unter deiner Führung, als bei Sator.“
„Was hast du vor?“, fragte Lyhma mit einer Mischung aus Unglauben und Sorge.
Nawarhon lächelte flüchtig. „Keine Angst, ich tue nichts Dummes. Ich werde nur einen kleinen Umweg machen. Reite du weiter, ich werde euch einholen.“
„Aber...“
Bevor sie auch nur noch ein Wort sagen konnte, riss der Prinz sein Pferd herum und bewegte sich von dem Hauptweg fort. Was sein Ziel war, konnte Mandy nicht erkennen, denn er verschwand bald selbst hinter den dünnen Schleiern des Schneefalls.
„Verrückter Kerl“, schimpfte Lyhma kopfschüttelnd, unternahm jedoch keinen Versuch, ihren Bruder in irgendeiner Form nachzureiten oder gar aufzuhalten. Stattdessen ritt sie den Weg weiter und trieb auch die anderen
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