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Crystall (German Edition)

Crystall (German Edition)

Titel: Crystall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Mahler
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weder Fieber noch Alpträume zu haben und wachte sogar vereinzelt auf. Nur kurz und nicht wirklich bewusst, aber immerhin. Ansonsten passierte rein gar nichts. Nicht einmal der vermutete Wolkenbruch kam. Es schneite nur ganz sacht und der Wind war die meiste Zeit über erträglich. Dafür wurde es nie richtig hell und wie schon drei Tage zuvor zeichneten auch diesmal bereits gewaltige Erdspalten die Reiseroute. Sie wurden größer, je näher sie dem Kristallgebirge kamen und manchmal musste sie diese regelrecht umrunden. Gefährlich wurde ihnen jedoch nichts, auch das sanfte Zittern, das kaum spürbar durch den Boden wellte. Eine Vorhut eines Erdbebens? Damit sollte der Tag markiert sein. Sie ritten noch die halbe Nacht hindurch, rasteten und schliefen in der zweiten Hälfte und brachen frühmorgens wieder auf. An diesem neuen Tag vergingen gute drei Stunden – die Konzentration der Reiter, insofern noch möglich, steigerte sich nun erheblich – und erst am Ende jener Frist erreichten sie ihr Ziel endgültig. Sie traten aus einem talähnlichen Gebirgsbecken heraus und standen so prompt vor den sagenhaften Kristallbergen, dass sie einen Moment nebeneinander stehen blieben und erstaunt aufblickten.
    Die Legende stammte nicht von irgendwoher und schon gar nicht von sensationslüsternen, dummen Schwätzern. Das Kristallgebirge existierte und es war so real märchenhaft, wie es in Erzählungen geschildert wurde. Noch niemals zuvor hatte Mandy etwas Derartiges gesehen, so gewaltig und gleichzeitig unschätzbar heilig. Zwar konnte von Menschenhand geschaffenes nicht unterbewertet werden, aber neben dieser Pracht waren alle Türme und Wolkenkratzer ihrer Welt vollkommen ohne Bedeutung. Das hier war anders, mit Worten nur sehr schwer zu beschreiben. In diesem Augenblick wusste Mandy, dass dies die erste und letzte Gelegenheit war, jenes Wunderwerk der Natur zu begutachten.
    Mandy holte, ohne es selbst zu bemerken, tief Luft und starrte regelrecht zu den Bergen hinüber, gefangen in einem mystischen Bann. Hätte neben ihr jemand Fragen gestellt oder sie gar mit einem Schwert bedroht, sie wüsste nicht, ob sie es für wahr genommen hätte.
    Ganz grob und oberflächlich betrachtet, sah Mandy einen übergroßen Mineral vor sich. Natürlich steckte weitaus mehr darin, aber das war es, was dem Mädchen auf Anhieb einfiel. Das Gebirge glich nämlich ohne Ausnahme dem, was sich Mandy in Träumen immer vorgestellt hatte und im Grunde beliebten Fantasie und Realität nicht Hand in Hand zu gehen. Diesmal schien es anders, das Gebirge war bis in die feinste Pore ein Traum von edler Gestalt. Wie groß es tatsächlich sein musste, konnte Mandy nicht überblicken. Aber was sie nun sah, genügte völlig. Jeder einzelne Berg, jeder Zipfel und jeder Kieselstein in diesem scheinbar tausend Meter hohen Gebirgszug bestand aus unverfälschtem, reinen Kristall. Niemand, der es je gesehen hatte, würde es zu beschreiben oder verstehen vermögen. Nur durch die Augen war die Bedeutung zu erkennen, in natura. Kein Foto der Welt hätte die Eleganz speichern können, diese majestätische Ausstrahlung und den Ausdruck von Heiligkeit, die es zu etwas Kostbarem machte.
    Mandy hing Minuten mit dem Blick an dem kristallinen Meisterwerk und sie spürte einfach, dass es den anderen genauso erging, obwohl mindestens die Hälfte von ihnen schon einmal hier gewesen sein musste.
    Der Tag befand sich in seinem frühen Stadium und ließ die Sonne vielleicht nicht besonders warm, aber dafür blendend intensiv vom Himmel scheinen. Und diese kosmische Energiequelle sorgte dafür, dass die Kristalle noch eindrucksvoller worden, als ohnedies. Normalerweise waren die glasig, mehr durchsichtig als weiß und spiegelglatt. Aber im Sonnenlicht wurden die Mineralien zu einem funkelnden Firmament aus blitzenden Farben. Aus weiter Ferne waren das winzige, silberne Explosionen, aber aus der Nähe konnte es nur ein tanzendes Spiel aus Regenbogenfarben sein.
    Mandy konnte die Spannung erst entkrampfen, als sie verzweifelt darüber nachdachte, wie ein solches Naturwunder möglich sein konnte. Sie wusste, dass sie hinterher keine Vorstellung mehr haben würde, zumindest nicht in diesem direkten Maße. Keine Fantasie konnte erschaffen, was diese Wirklichkeit bot – ein Kristall von gigantischen Auswüchsen, überwiegend glatt und mit schroffen, millionenfach gezackten Kämmen.
    „Einfach unbeschreiblich.“
    Mandy zuckte förmlich zusammen und drehte sich zu ihren Freunden herum.

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