Crystall (German Edition)
Sie wusste nicht, wer diese murmelnden Worte von sich gegeben hatte, aber das spielte auch keine Rolle. Als sie in die Gesichter der anderen blickte, erkannte sie selbiges Erstaunen wie bei ihr persönlich. Vor allem die Tuaregs waren fasziniert. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie ernsthaft glauben können, dass dies der heilige Sitz Gottes war.
„Ja, das ist es.“ Sator versuchte natürlich – wie es eben seine Art war – möglichst unbeteiligt zu klingen. Dennoch verrieten ihn auch seine Gesichtszüge deutlich. „Trotzdem sollten wir aufbrechen. Das ist Terrain, das niemand von uns hundertprozentig kennt und wer weiß, wie weit es noch sein mag. Jedenfalls wird von diesem Schatz nicht viel übrig bleiben, wenn wir zu spät kommen.“
Mandy wurde sichtlich blass um die Nase. „Soll das etwa heißen, ihr wisst den Weg gar nicht?“
Lyhma lächelte warm und kam Sator zuvor. „Mach dir mal keine Sorgen. In dem ganzen Gebirge gibt es nur eine einzige, grottenähnliche Öffnung und dazu nicht wesentlich mehr als eine Hand voll Pfade. Was Sator meint, keiner weiß, wie lange uns unser Weg führen mag und welche Gefahren lauern könnten.“
„Dann ist es noch nicht überstanden?“
Sator lachte hart und verbittert. „Überstanden? Mädchen, das Abenteuer geht hier erst richtig los.“ Mit diesen Worten rüttelte er nicht einmal sanft am Zaumzeug und gab dem Pferd dafür vorsichtig die Sporen. Augenblicklich löste er sich aus dem Rastzug und drang in einen Hohlweg des Kristallgebirges ein.
Mandy und der Rest der Truppe folgte ihm gleich darauf. Der Weg zwischen meterhohen Kristallwänden veränderte die Atmosphäre gänzlich und nicht nur im Bereich des Sichtbaren. Gut, es wurde ein wenig dunkler und die Hufschläge schienen durch das sämtliche Gebirge zu hallen, aber es war vielmehr die Anspannung, die sich steigerte. Plötzlich witterte man überall Gefahr, Schatten wurden zu hungrigen Ungeheuern und das Schweigen zu einem nährenden Monster der Furcht.
Mandy merkte selbst, wie sie immer häufiger ihre Hand an den Schwertgriff legte. Bisher war das jedoch unnötig. Glücklicherweise – denn wenn es hier tatsächlich noch Feinde geben sollte, würden ihnen ihre Waffen ohnehin wenig von Nutzen sein. Die Hufe zwischen den eng anliegenden Steilwänden verursachten einen solchen schallenden Lärm, dass sie jeder in einem halben Kilometer Entfernung hören musste und jene Feinde alle Zeit der Welt hatten, um sie in eine Falle zu locken.
Mandy atmete leise auf, als der Hohlweg vorüber ging und sich über ihr wieder das breite Band des blauen Himmels erstreckte. Die Sonne streichelte zart ihre Haut und nahm einen wenigstens geringen Anteil der noch immer vorherrschenden Kälte.
Sie musste gestehen, dass sie mittlerweile keine Ahnung mehr hatte, was die Orientierung betraf. Der Weg zurück durch die riesige Felsspalte war nach wie vor in Sicht, aber damit war es das auch schon. Zu allen Seiten und des Weges voraus sah sie nichts als die funkelnden Gebirgsketten, mal nur sehr flach und dann wieder bis in den Himmel ragend. Aber wenigstens war der Weg nun deutlich breiter und die Pferde verursachten nur noch gedämpfte Laute.
Ihr Trupp trabte nur gemächlich dahin und sämtliche Köpfe flogen durch die Umgebung und tasteten jeden Winkel ab. Jetzt, ohne die schallenden Echos, wurde es bedrückend still. Selbst der Wind von draußen drang hier nur noch spärlich herein, eigentlich kaum der Rede wert.
Ihr Weg führte sie eine gute halbe Stunde am Fuße der Berge entlang, wobei sie den Kristallen noch immer nicht nahe kamen und Mandy die Gelegenheit fand, sie ganz genau zu betrachten. Dafür entdeckte sie hier unten auf dem sicherlich zehn Meter breiten Weg – übrigens, dieser bestand ausnahmsweise nicht aus Kristall, sondern Schotter und Dreck – deutliche Erdspalten. Mal waren es Risse, mal klaffende Schluchten, die sie aber bisher gefahrlos umgehen konnten. Anhand der dunklen, saftigen Erde darunter, erkannte Mandy zweifellos, dass sich hier der meiste Boden erst vor kurzem aufgetan hatte.
Allerdings gab es noch etwas, was Mandy beunruhigte. Seit sie aus dem Hohlweg getreten waren, begleitete sie ein sanftes Zittern des Bodens. Mandy hatte es anfangs als Einbildung abgetan, doch mittlerweile blickten auch einige andere misstrauisch nach unten. Sie spürten etwas, genau wie Mandy. Es musste sich um die Vorhut eines Erdbebens handeln. Wenn es schlimmer wurde, musste das Gebirge hier irgendwann
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