Crystall (German Edition)
musste eine Welt retten!
Sie musste ihre Freunde retten!
Sie musste sich selbst retten!
Und noch niemals hatte sie aufgegeben. Die Chance, jene Bestie zu besiegen, stand vielleicht eins zu einer Milliarde. Womöglich sogar schlechter. Aber ein Funke von Hoffnung blieb zurück und plötzlich glomm ein Gedanke in ihr auf, so, als spräche Kaija noch einmal zu ihr. Denke daran, Mädchen, was einst erschaffen wurde, kann auch zerstört werden. Die heilige Kreatur ist stark, nahezu unbesiegbar, aber auch sie ist nicht aus dem Nichts geboren. Sie existiert, ist materiell und nicht unendlich. Glaube an die Kraft in dir. Es war nicht wirklich Kaija, die zu ihr sprach. Ihre Gedanken formten sich einfach mit ihren Worten, mit ihrer Stimme und Weisheit und sie gebaren neue Hoffnung.
Ihre Umgebung veränderte sich zum ersten Mal. Es war keine dramatische Wandlung, etwa, als würde sich das Gebirge in eine Wüste verwandeln. Eigentlich fiel ihr das Neue erst auf den zweiten Blick auf. Der Hohlweg wurde sehr viel breiter, die Berge links und rechts kippten nicht mehr steil in die Höhe, sondern schmolzen zu kleinen, zerfressenen Bergen, die nicht größer als drei Meter sein konnten. Hier gelang es der Sonne endlich, tiefer einzudringen und nahm absurder Weise das Gefühl von bedrückender Einsamkeit. Auch der Boden hatte sich gewandelt. Er war nicht mehr kristallklar, sondern bedeckt mit Eiskrusten über einer Unebene, schroff und trümmerübersät.
Mandy ging weiter und hörte, wie das hauchdünne Eis unter ihren Schuhsohlen knirschte.
Und dann machte ihr Herz einen heftigen Satz. Mandy zog automatisch das Schwert aus der Hülle und sprang einen Schritt zurück. Eigentlich war es nur ein Schatten gewesen, den sie sah, wie eine Bewegung aus den Augenwinkeln und sie wusste auch, dass ihre Reaktion sicherlich übertrieben sein musste. Aber sie war nur ein Mensch, ihre Nerven hatten Grenzen und mahnten sie zur Übervorsicht.
Mandy schluckte, hatte dabei das Gefühl, glühendheiße Glassplitter den Rachen hinab zu würgen und betrachtete ihre Entdeckung nun genauer. Die zwei Schatten waren zu weit entfernt, um deutlich sein zu können.
Wie zwei Leichen am Boden liegend.
Ein Pfeil schien sich durch ihren Kopf zu bohren, als sie diesen Gedanken auch begriff. Um ein Haar wäre sie blind losgerannt, mahnte sich aber noch rechtzeitig zur Vorsicht. Sie durfte ihren überreizten Nerven jetzt nicht nachgeben. Sie zwang sich zur Konzentration, zählte mit verschlossenen Augen bis fünf und atmete tief durch. Es gab Zeiten im Leben, in denen Risiken von Wert waren, aber nicht hier und nicht jetzt.
Mandy schlich wie auf Zehenspitzen los, behielt die Schatten im Auge und spürte, wie sie ihr Schwert derart fest umklammerte, dass es schmerzte.
Aber Schmerz erinnerte an die Wirklichkeit.
Gewappnet pirschte sich Mandy an die dunklen Schatten heran, hob ihr Schwert mit jedem Schritt noch höher und hielt dabei gutes gehend sogar die Luft an.
Die dunklen Flecken wuchsen an, wurden zu Körpern, dann zu Gestalten am Boden und ...
„Nein“, raunte Mandy entsetzt, blieb einen Augenblick stehen und warf einen hastigen Blick in die Runde. Niemand war hier.
Mandy ließ sich neben den beiden auf die Knie sinken, das Schwert an ihrer Seite fallen und ertastete den Puls. Sie überprüfte ihn mehrmals, bis Mandy einsehen musste, dass zwei Leichen vor ihr lagen. Der eine war ein Tuareg gewesen, den anderen identifizierte sie erst später, denn sein Gesicht war überströmt von leicht geronnenem Blut. Wahrscheinlich hätte sie ihn ohne den Echsenschwanz niemals erkannt.
Shou.
Mandy würgte einen Moment, als ihr Blick über die zerschundenen Körper glitt. Beiden sahen aus, als hätte sie ein Titan mit ungeheurer Wucht gegen Fels geschmettert. Doch die Krallenspuren dazwischen bewiesen eindeutig, wer oder besser gesagt was die Freunde getötet hatte.
Mandy verzog zornig das Gesicht, kämpfte gegen Tränen und verschloss den treuen Gefährten die Augenlider. „Ich schwöre, euer Tod wird nicht umsonst sein, wir werden diesen Dämon bezwingen, das verspreche ich. Lebt wohl, meine Freunde.“ Damit stand sie so ruckartig auf, dass sie um ein Haar gestürzt wäre. Aber sie konnte den Anblick zweier Leichen nicht länger ertragen. Sie packte ihr Schwert und lief weiter.
Trotz ihrer Bemühungen konnte sie das Bild der Toten nicht völlig aus ihrem Gedächtnis verbannen. Was war das für eine grausame Bestie? Sie mussten endlich etwas unternehmen,
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