Crystall (German Edition)
nichts als Angst. Vielleicht nicht einmal das, ihr Denken wurde schlicht blockiert. Das Herz hämmerte wie ein altes Uhrwerk, ihre Hände zitterten noch heftiger als das Beben durch den Koloss, der nun höchstens zwei Meter vor ihr stand und gar nicht daran dachte, weiter zu gehen. Nein, stattdessen fuchtelte er bedeutungslos mit den fünf Armen herum und warf den Kopf hin und her. Er pendelte wie der Echsenkopf auf einem zu kleinen Hals. Die flammenden Augen suchten die Gegend ab und sprühten nur so vor Hass und Mordlust. Er schnaubte, prickelnd kalter Hauch drang aus den Nüstern wie der Feuerstrahl eines Drachen. Sein Schwanz schlug ununterbrochen auf den Boden und ließ ihn vibrieren.
Hau doch endlich ab! Natürlich sprach Mandy den Gedanken nicht laut aus, presste sich dafür noch enger an die Wand, als wäre das genug, um nicht entdeckt zu werden. Es waren letztlich nicht mehr als Sekunden, aber die längsten ihres Lebens.
Die Bestie starrte in alle nur möglichen und denkbaren Richtungen. Mandy wusste nicht, ob sie Intelligenz besaß oder wie viel, aber zumindest spürte sie etwas. Sie witterte das Mädchen, ganz eindeutig. Allerdings blickte sie nicht einmal zu Boden und das verschob Mandys Todesurteil wahrscheinlich ein weiteres Mal.
Die heilige Kreatur schlurfte weiter. Sie lief nicht mehr wie ein Panzer durch die Hohlwege, sondern zerrte die Füße ratschend über den Boden. Links und rechts stieß sie noch immer mit dem gewaltigen Leib gegen die Wände.
Mandy sah ihm eine Weile nach. Zum ersten Mal hatte sie das Monster wirklich betrachten können, trotz ihrer Furcht. Aber sie fand keine Worte für das Wesen, es entzog sich jeder Beschreibung. Ja, die Bestie war nichts als ein bizarres, aus Eis willkürlich geformtes Etwas. Oder eine Verschmelzung aller Tierarten dieser Welt.
In annähernd fünfzig Metern Abstand setzte Mandy zur Verfolgung an. Sie schlich dabei eng an den Wänden entlang und hielt selbst ihren Atem so flach wie möglich. Und zum Glück bemerkte sie das Wesen nicht einmal, auch in diesem offenen, weit überschaubaren Gebirgspass nicht.
Mandy musste sich beeilen, um mit der Kreatur Schritt halten zu können, ging dabei trotzdem peinlichst vorsichtig zu Werke. Sie durfte sie nicht aus den Augen verlieren.
Dennoch gab es Problem Nummer zwei: Wie sollte sie das Biest angreifen?
Nun, das würde wohl die Zukunft bringen. Selbstverständlich war Planlosigkeit alles andere als ein guter Ratgeber in einer Schlacht um Leben und Tod. Andererseits, was nutzte jede Taktik, wenn Mittel fehlten und selbst das Ziel nicht wirklich eindeutig war?
Mandy seufzte in sich hinein. Alles drehte sich um sie herum, die Gedanken tanzten in wirbelnden, unkenntlichen Bahnen. So, wie die Dinge momentan lagen, lief sie geradewegs in den Tod. Und damit wäre niemandem geholfen.
Ihre wirren Grübelein verrauchten rasch, denn das Monster vor ihr beschleunigte seinen Schritt wieder und zwar bestimmend. Anfangs hatte er seine Füße – falls man von solchen überhaupt noch sprechen konnte – nahezu quälend über die Erde geschleift, aber jetzt holten seine gigantischen Beine weit aus, der Boden erbebte neuerlich unter seinen Schritten. Ohrenbetäubende Geräusche drangen aus dem Maul der Kreatur.
Mandy blieb also gar keine Gelegenheit, über irgendetwas nachzudenken, geschweige denn einen Angriffsplan zu verwirklichen. Plötzlich hatte sie alle Mühe, überhaupt mit dem Koloss aus Eis und Kristall mithalten zu können. Sie ließ die größte Vorsicht einfach sausen und begann zu laufen. Es war ja auch so gut wie gleichgültig, denn bei dem Lärm, den die Bestie verursachte, konnte sie Mandys Schritte unmöglich wahrnehmen.
Das Mädchen fiel in einen kräftesparenden Dauerlauf, die Waffe noch immer in der Rechten, jedoch gen Boden geneigt. Sie ließ das Ungetüm nicht einmal aus den Augen.
Was, wohl bemerkt, einfacher gesagt war, als letztlich getan. Der Dämon schien mit jeder Biegung nur noch schneller zu werden, als hätte er ganz plötzlich etwas gewittert. Dabei wurden auch die Bodenwellen stetig heftiger. Aber was für ihn nur lautes Getrampel sein musste, stellte für Mandy eine Katastrophe dar. Sie hatte das Gefühl, als würde die Erde nicht mehr nur vibrieren, sondern schlicht von einer Seite auf die andere kippen.
Die Verfolgung wurde zu einem Hindernislauf. Mandy musste irgendwie beschleunigen, um ihren Gegner nicht endgültig zu verlieren. Aber gerade das machte die Angelegenheit noch einmal
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