Cugel der Schlaue
verschwundenen Schuppen nach Flutic zurückkehrte, beschloß Cugel, sich seiner Befragung nicht auszusetzen. Heimlich verließ er Meister Twangos Besitz und eilte westwärts zu dem Städtchen Saskervoy. {*}
Nach einer Weile machte er eine Pause, um wieder zu Atem zu kommen. Er war zutiefst verbittert. Durch die Falschheit von Minderwertigen trug er nun kein Paket wertvoller Schuppen bei sich, sondern nur eine Handvoll »gewöhnliche« und eine einzige »besondere«: die »Jochsprungbein«. Die wertvollste von allen, die »Brusthimmelsbruch Sprühlicht« war noch im Hintergarten von Flutic vergraben, doch sie hoffte Cugel sich wiederholen zu können, und wenn nur, weil Iucounu, der Lachende Magier, sie unbedingt haben wollte.
Weiter marschierte Cugel auf der Straße: durch einen dunklen Wald von Pilzeichen, Eiben, Mernachen und Koboldbäumen. Schwacher roter Sonnenschein filterte durch das Laubdach, und durch einen Trick des Lichtes wirkten alle Schatten dunkelblau.
Wachsam und immer wieder nach allen Seiten Ausschau haltend, wie es zu diesen Zeiten ratsam war, schritt Cugel dahin. Er sah viel, was nicht nur seltsam, sondern manchmal auch atemberaubend schön war: weiße Blüten hoch auf dünnen Ranken über dichten, flachen Blättern; Feenburgen aus Pilzen, die terrassen- und turmförmig über verrottenden Baumstümpfen wuchsen; orange und schwarz gemusterte Farne. Einmal, aber undeutlich durch die Entfernung von gut dreihundert Fuß, vermeinte Cugel eine hochgewachsene, menschenähnliche Gestalt im lila Wams zu sehen. Da Cugel völlig unbewaffnet war, atmete er erleichtert auf, als die nun hangaufwärts verlaufende Straße aus dem Wald in nachmittäglichen Sonnenschein führte.
In diesem Moment vernahm Cugel die holpernden Räder von Soldincks Wagen, der von Flutic zurückkehrte. Cugel verließ die Straße und wartete hinter einem Felsblock verborgen ab. Der Wagen rollte vorbei, und Soldincks grimmige Miene verriet, daß seine Unterredung mit Twango unerfreulich verlaufen war.
Als das Holpern des Wagens kaum noch zu hören war, setzte Cugel seinen Weg fort. Die Straße führte über eine windige Kuppe in Serpentinen den Hang hinab, und als sie die Küste erreichte, sah er Saskervoy vor sich.
Er hatte den Ort für wenig mehr als ein Dorf gehalten, aber Saskervoy übertraf seine Erwartungen, sowohl was seine Größe als auch sein Ansehen – es wirkte alt und ehrbar – betraf. Hohe, schmale Häuser standen dicht nebeneinander zu beiden Seiten der Straßen, ihr verwitterter Stein von Rauch und Nebel gezeichnet und von Flechten überzogen. Fenster glänzten und Messingzierwerk glitzerte im roten Sonnenschein. Das war Cugels erster Eindruck von Saskervoy.
Er folgte der Straße in die Stadt und ging zum Hafen weiter. Offenbar sah man in Saskervoy nicht oft Fremde, denn bei Cugels Anblick blieben alle stehen, um ihn anzustarren, und manche überquerten eilig die Straße. Vermutlich hatten sie eingefleischte Gewohnheiten und waren altmodisch in ihren Ansichten, das zumindest nahm Cugel an. Die Männer trugen schwarze Fräcke mit langen Schwalbenschwanzstößen, dazu Pluderhosen und schwarze Schnallenschuhe; die Frauen unförmige Gewänder und runde, tief ins Gesicht gezogene Topfhüte. Cugel erreichte den Platz vor dem Hafen. Mehrere Schiffe von beachtlicher Größe lagen vor Anker. Vielleicht würden einige davon südwärts segeln, möglicherweise gar bis Almery?
Er ließ sich auf einer Bank nieder und betrachtete den Inhalt seines Beutels. Er stellte fest, daß er sechzehn »gewöhnliche« Schuppen hatte, zwei »besondere« von geringem Wert, und die »Jochsprungbein«. Je nachdem, wieviel Soldinck üblicherweise bezahlte, mochte der Erlös für diese Schuppen den Preis für eine Seereise nach Almery decken oder auch nicht.
An der gegenüberliegenden Seite des Platzes bemerkte er nun ein Schild an einem stattlichen Gebäude:
SOLDINCK UND MERCANTIDES
EIN- UND AUSFUHR VON QUALITÄTSGÜTERN
ZWISCHENHANDEL
Cugel ließ sich eine ganze Reihe von Strategien durch den Kopf gehen, eine subtiler als die andere. Alle von der Notwendigkeit ausgehend, daß er Schuppen verkaufen mußte, um für Unterkunft und Verpflegung in einer Herberge bezahlen zu können. Der Nachmittag neigte sich seinem Ende entgegen. Cugel stand auf. Er überquerte den Platz und betrat das Kontor von Soldinck und Mercantides.
Die Räumlichkeiten strahlten Würde und Tradition aus. Der Geruch von frischem Lack und altem Holz hing in der
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