Cugel der Schlaue
Schließlich hob er sich mühsam auf die Füße und trampelte über die Fliesen. Er sprang einmal dorthin und brach plötzlich durch die steinerne Tempelmauer, als wäre sie aus Papier. Die Gütigen auf dem Stadtplatz starrten ihm wie angewurzelt entgegen.
Cugel nahm die beiden Goldsäcke und verließ den Tempel durch einen Seitenausgang. Kurz sah er noch zu, wie Phampoun schreiend und um sich schlagend über den Platz schwankte. Pulsifer, der sich verzweifelt an die Stoßzähne klammerte, versuchte, den Dämon zu lenken, aber der achtete überhaupt nicht auf ihn und stapfte ostwärts durch die Stadt. Er zertrampelte Bäume und trat Häuser nieder, als gäbe es sie überhaupt nicht.
Cugel hastete zum Isk und trat auf einen Pier hinaus. Er wählte sich ein Boot von ihm zusagender Größe mit Segeln und Ruder aus und machte sich daran, an Bord zu klettern, als sich ein Fischerkahn den Piers näherte. Ein übergewichtiger Mann in zerlumpter Kleidung stand darin und versuchte, das Boot mit einer Stange zu lenken. Cugel wandte sich ab und tat, als interessiere er sich lediglich für die Aussicht, um abzuwarten, bis er das Segelboot besteigen konnte, ohne Aufsehen zu erregen.
Der Kahn berührte den Pier. Der Mann kletterte eine Leiter hoch. Cugel schaute weiter über das Wasser, ohne ihm einen Blick zu widmen.
Keuchend und ächzend kam der Zerlumpte näher und hielt abrupt an. Da spürte Cugel seinen durchdringenden Blick auf sich und drehte sich endlich um. Er blickte geradewegs in das verzerrte Gesicht Huruskas, des Nolden von Gundar, den er kaum noch erkannte, da er überall, wo die Fetzen ihn nicht bedeckten, von den Stichen der Insekten des Lallosumpfs angeschwollen und wund war.
Huruska starrte Cugel lange und grimmig an. »Welch ein glücklicher Zufall!« rief er schließlich heiser. »Ich befürchtete schon, dich Hund nie wiederzusehen! Dieser Gedanke rief schlimmeren Gram in mir hervor, als du dir vorstellen kannst! Und was hast du denn da in diesen Ledersäcken?« Er entriß Cugel einen. »Gold, dem Gewicht nach! Deine Wahrsagung scheint sich als zutreffend zu erweisen! Zuerst Ehren, dann eine Reise über das Wasser, jetzt Reichtum und Rache! Mach dich bereit zu sterben!«
»Einen Augenblick!« rief Cugel. »Ihr habt unterlassen, den Kahn zu vertäuen. Das ist hier eine schlimme Gesetzesübertretung!«
Huruska drehte sich doch tatsächlich um, um nachzusehen, da stieß Cugel ihn ins Wasser.
Tobend und fluchend plagte Huruska sich, das Ufer zu erreichen, während Cugel mit zitternden Fingern die Knoten in der Vertäuung des Segelboots löste. Endlich hatte er es geschafft! Er zog das Boot näher heran, als er sah, daß Huruska wie ein Stier über den Pier auf ihn zugestürmt kam. Es blieb Cugel keine andere Wahl, als sein Gold aufzugeben. Rasend vor Wut drohte der Nolde mit den Fäusten.
Bedrückt setzte Cugel das Segel. Der Wind trug ihn flußab und um eine Biegung. Die Aussicht auf Lumarth im erlöschenden Tageslicht schloß die schimmernden Kuppeln der Dämonentempel und die dunklen Umrisse Huruskas auf dem Pier ein. Aus der Ferne war immer noch Phampouns Gebrüll zu hören und hin und wieder das Krachen einstürzenden Mauerwerks.
Ein Beutel voller Träum e
Hinter Lumarth schlängelte der Isk sich in weiten Bo gen durch die Rotblumensteppe in allgemeiner Südrichtung. Sechs friedliche Tage segelte Cugel den Hochwasser führenden Fluß abwärts und hielt des Abends bei dem einen oder anderen Ufergasthaus an.
Am siebten Tag schwang der Fluß westwärts und führte in ungleichmäßigen Windungen und längeren geraden Strecken durch das Land aus Felsspitzen und bewaldeten Hügeln, das als Purpurchaim bekannt war. Wenn der Wind überhaupt blies, dann in unberechenbaren Böen, aber Cugel störte es nicht, sich mit gerefftem Segel von der Strömung dahintragen zu lassen, und nur dann und wann mußte er mit einem Ruderschlag nachhelfen, um in Flußmitte zu bleiben.
Die Steppendörfer fielen zurück, und die Gegend, durch die der Fluß nun strömte, schien unbewohnt zu sein. Cugel war froh, nicht durch das Land wandern zu müssen, sondern sich in der Flußmitte halten zu können, denn die zerfallenden Grabstätten entlang den Ufern, die Zypressen-und Eibenhaine, und vor allem das gespenstische Flüstern des Nachts, waren ihm unheimlich.
Beim Städtchen Troon verlor der Isk sich im Tsombolmoor, und Cugel verkaufte das Segelboot für zehn Terces. Um wenigstens zu noch ein bißchen Geld zu kommen, half er
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