Cugel der Schlaue
Cugel zur Haustür. Der Klopfer hing in Form einer Zunge aus einem Dämonenkopf aus Messing. Er ließ die Messingzunge gegen die Tür schlagen und rief: »Öffnet! Ein ehrbarer Wanderer benötigt Unterkunft und ist bereit, dafür zu bezahlen.«
Schnell rannte Cugel zum Fenster zurück. Er beobachtete Faucelme, wie er aufstand, einen Moment mit schrägem Kopf stehenblieb und dann das Gemach verließ. Sofort öffnete Cugel das Fenster und kletterte hinein. Er schloß das Fenster, nahm die Seilrolle von der Kommode und verbarg sich in einem dunklen Winkel.
Kopfschüttelnd kehrte Faucelme zurück. Er ließ sich wieder in seinem Sessel nieder und las weiter. Cugel schlich von hinten heran und wand das Seil um des ZauberersBrust,wiederundimmerwieder,und es sah fast so aus, als würde die Rolle nie kleiner werden. Schließlich war Faucelme ganz mit Seil umwickelt.
Nunmehr zeigte sich Cugel. Faucelme musterte ihn von Kopf bis Fuß. Sein Ton verriet eher Neugier dennÄrger, als er fragte: »Welchem Anlaß verdanke ich diesen Besuch?«
»Reiner Furcht«, antwortete Cugel. »Ich wage es nicht, die Nacht im Freien zu verbringen, also kam ich Unterkunft suchend zu Eurem Haus.«
»Und das Seil?« Faucelme blickte auf die dichte Hülle aus Hanf hinunter, die ihn an den Stuhl band.
»Ich möchte Euch nicht mit der Erklärung kränken«, entgegnete Cugel.
»Meint Ihr, die Erklärung würde mich mehr kränken als das Seil?«
Cugel runzelte die Stirn und zupfte am Kinn. »Eure Frage ist tiefschürfender, als es zunächst den Anschein hat, und stößt in den Bereich der alten Analyse des Ideals gegenüber der Realität vor.«
Faucelme seufzte. »Heute abend bin ich nicht in der Stimmung für Philosophie. Ihr dürft meine Frage mit wirklichkeitsnahen Begriffen beantworten.«
»Verzeiht, aber ich habe die Frage vergessen«, sagte Cugel.
»Nun, ich werde sie in einfachem Satzbau wiederholen. Weshalb habt Ihr mich an meinen Stuhl gebunden, statt durch die Tür einzutreten?«
»Nun, weil Ihr darauf besteht, muß ich Euch eine unangenehme Wahrheit offenbaren. Euer Ruf ist der eines heimtückischen, unberechenbaren Halunken mit einer Neigung zu unerfreulichen Schlichen.«
Faucelme verzog traurig das Gesicht. »In einem solchen Fall würdet Ihr mir nicht glauben, selbst wenn ich Euch das Gegenteil versicherte. Wer sind meine Verleumder?«
Lächelnd schüttelte Cugel den Kopf. »Als Ehrenmann muß ich auf diese Frage schweigen.«
»Aha, natürlich!« Faucelme verstummte nachdenklich.
Ohne den Blick ganz von Faucelme zu nehmen, schaute Cugel sich im Gemach um. Von dem abgesehen, was er vom Fenster aus erblickt hatte, befanden sich noch ein Teppich in Dunkelrot, Blau und Schwarz im Gemach und ein offener Bücherschrank.
Eine Mücke, die durchs Fenster geflogen war, ließ sich auf Faucelmes Stirn nieder. Der Zauberer hob eine Hand durch die Umwicklung, wischte das Insekt weg und zog die Hand unter das Seil zurück.
Offenen Mundes starrte Cugel ihn an. Hatte er das Seil nicht richtig um den Mann gewickelt? Aber Faucelme schien von dem Seil straff eingehüllt zu sein!
Da lenkte ein ausgestopfter Vogel Cugels Blick auf sich. Er war etwa vier Fuß groß und hatte unter einer dicken Mähne schwarzen Haares ein Frauengesicht. Ein Kamm aus einer durchsichtigen Schicht ragtehinten von der Stirn empor. Über Cugels Schulter erklang eine Stimme: »Das ist eine Harpyie aus dem Xardoonmeer. Es gibt ihresgleichen nicht mehr viele. Sie lieben das Fleisch ertrunkener Seeleute, und wenn ein Schiff dem Untergang geweiht ist, eilen sie herbei, um Wache zu halten. Seht Euch die Ohren an …« Faucelmes Finger langte über Cugels Schulter und hob das Haar der Harpyie. »Sie ähneln denen einer Meerjungfrau. Paßt beim Kamm auf!« Der Finger tupfte auf das untere Stück. »Die Zacken haben Stacheln.«
Erstaunt dreht Cugel sich um. Der Finger zog sich zurück und kratzte flüchtig Faucelmes Nase, ehe er unter der Seilverschnürung verschwand.
Schnell durchquerte Cugel das Gemach und überprüfte die Bande, die die richtige Spannung zu haben schienen. Aus dieser Nähe betrachtete Faucelme Cugels Hutzier. Er stieß einen zischelnden Laut hervor.
»Euer Hut ist von fast kunstvoller Machart«, stellte er fest. »In Gegenden wie dieser könntet Ihr jedoch genausogut einen Lederstrumpf auf dem Kopf tragen.« Er blickte auf sein Buch hinab.
»Das mag wohl sein«, gestand Cugel ihm zu. »Und wenn die Sonne erlischt, genügt für die Sittsamkeit ein
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