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Cujo

Cujo

Titel: Cujo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Und man war für weitere vierzehn Jahre eingekerkert.
    Ein leiser krächzender Laut kam aus ihrer Kehle.
    »Sagtest du etwas, Mom?«
    »Nein. Ich habe mich nur geräuspert.«
    Sie zitterte ein drittes Mal, und diesmal bekam sie Gänsehaut an den Armen. Sie dachte an eine Zeile aus einem Gedicht, das sie in der Englischstunde gelernt hatte. Sie hatte das College besuchen wollen, aber ihr Vater war wütend geworden - ob sie wohl glaube, er sei reich -, und ihre Mutter hatte ihren Plan sanft und mitleidig totgelacht. Die Zeile war aus einem Gedicht von Dylan Thomas, und sie kannte nicht mehr das ganze Gedicht, aber es hatte davon gehandelt, daß man sich ›durch das Verhängnis der Liebe bewegt‹.
    Die Zeile war ihr damals komisch vorgekommen und hatte sie verwirrt, heute aber glaubte sie sie zu verstehen. Was war denn dieses unsichtbare Gummiband, wenn nicht Liebe? Wollte sie sich etwas vormachen? Wollte sie behaupten, daß sie den Mann, den sie geheiratet hatte, nicht auch irgendwie liebte? Daß sie es nur aus Pflichtgefühl oder um des Jungen willen bei ihm ausgehalten hatte? Das war geradezu lächerlich. Wenn sie ihn je verlassen hätte, dann wegen des Kindes. Daß es ihr mit ihm im Bett nie Spaß gemacht hätte? Daß er nicht manchmal (wie vorhin an der BusStation) auch zärtlich sein konnte?
    Und doch … und doch …
    Brett sah aus dem Fenster und war entzückt. Ohne den Blick von der Landschaft zu wenden, fragte er: »Glaubst du, daß mit Cujo alles in Ordnung ist, Mom?«
    »Sicher«, sagte sie abwesend.
    Zum ersten Mal dachte sie ganz konkret an Scheidung und überlegte, wie sie ihren Sohn und sich durchbringen könnte, wie sie mit dieser unvorstellbaren (fast unvorstellbaren) Situation fertigwerden würde. Wenn sie und Brett von dieser. Reise nicht zurückkamen, würde er dann kommen, um sie zu holen? Er hatte in Portland vage damit gedroht. Würde er sich dazu entschließen, Charity fahren zu lassen, aber mit allen Mitteln versuchen, Brett nach Hause zu holen?
    Im Geiste ging sie die verschiedenen Möglichkeiten durch und wog sie gegeneinander ab. Es kann nicht schaden, ein wenig Abstand zu gewinnen, dachte sie plötzlich. Das mag schmerzlich sein, aber vielleicht auch ein bißchen nützlich.
    Der Greyhound ließ die Grenze nach New Hampshire hinter sich und rollte nach Süden.

    Die Delta 727 stieg steil hoch, drehte eine Schleife über Castle Rock - Vic hielt immer Ausschau nach seinem Haus zwischen Castel Lake und der 117, jedesmal vergeblich - und nahm dann wieder Kurs auf die Küste. Der Flug bis Logan Airport dauerte zwanzig Minuten.
    Irgendwo, sechstausend Meter unter ihnen, war Donna. Und Tadder. Er war plötzlich deprimiert und hatte eine düstere Vorahnung, daß es nicht funktionieren würde, daß es verrückt war, auch nur darauf zu hoffen. Wenn das Haus zusammenstürzte, mußte man ein neues bauen. Man konnte das alte nicht einfach wieder zusammenkleben.
    Die Stewardeß kam vorbei. Er und Roger flogen erster Klasse (»Noch können wir uns das leisten, alter Junge«, hatte Roger gesagt, als er den Flug buchte, »wenn schon ins Armenhaus, dann aber standesgemäß.«), und außer ihnen waren nur vier oder fünf andere Passagiere in der Kabine, die fast alle die Morgenzeitung lasen. Das tat auch Roger.
    »Kann ich Ihnen irgend etwas bringen?« fragte sie Roger mit jenem Berufslächeln, das auszudrücken schien, daß es ihr eine riesige Freude gemacht hatte, um fünf Uhr dreißig aufzustehen und-von Bangor nach Portland, nach Boston, nach New York und nach Atlanta zu fliegen.
    Roger schüttelte zerstreut den Kopf, und sie richtete ihr unheimliches Lächeln gegen Vic. »Für Sie, Sir? Kuchen? Orangensaft?«
    »Könnten Sie einen Drink für mich auftreiben?« fragte Vic, und Rogers Kopf fuhr hinter der Zeitung hoch.
    Die Stewardeß hielt ihr Lächeln durch. Schon vor neun Uhr morgens um einen Drink gebeten zu werden, war für sie nichts Neues. »Sicher kann ich das«, sagte sie, »aber Sie werden ihn schnell trinken müssen, denn bis Boston ist es nur ein Katzensprung.«
    »Ich werde mich beeilen«, versprach Vic feierlich, und mit ihrem strahlenden Lächeln und ihrer hübschen blauen Uniform verschwand sie in der Kombüse.
    »Was ist denn mit dir los?« fragte Roger.
    »Wie meinst du das?«
    »Das weißt du ganz genau. Du trinkst doch sonst vormittags nicht mal ein Bier.«
    »Heute ist Stapellauf?«
    »Was für ein Stapellauf?«
    »Die R. M. S. Titanic«, sagte Vic.
    Roger runzelte die Stirn.

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