Cujo
»Findest du das nicht ein bißchen geschmacklos?«
Vic mußte, ihm recht geben. Das hatte Roger nicht verdient. Aber in seiner Niedergeschlagenheit heute morgen war ihm nichts anderes eingefallen. Er lächelte ziemlich unglücklich, aber Roger sah ihn immer noch unfreundlich an.
»Hör zu«, sagte Vic. »Im Zusammenhang mit diesen Himbeerflakes ist mir etwas eingefallen. Es wird zwar verdammt schwer sein, das dem alten Sharp und seinem Sohn zu verkaufen, aber es könnte glücken.«
Roger schien erleichtert. So hatten sie es immer gehalten. Vic lieferte die Ideen, Roger verarbeitete sie und setzte sie um. Sie hatten immer als Team gearbeitet, wenn es darum ging, Ideen ‘mediengerecht aufzubereiten und auf geeignete Weise zu präsentieren.
»Was ist es?«
»Gib mir noch ein wenig Zeit«, sagte Vic. »Vielleicht bis heute abend. Dann ziehen wir das Ding über die Bühne …«
»… und sehen, wer dann ohne Hosen dasteht«, sprach Roger grinsend den Satz zu Ende. Er schüttelte die Zeitung und schlug den Wirtschaftsteii auf. »Okay. Aber heute abend muß ich es wissen. Die Sharp-Aktien sind übrigens wieder um null komma acht Punkte gestiegen. Wußtest du das?«
Vic murmelte etwas Unverständliches und schaute wieder aus dem Fenster. Der Nebel hatte sich aufgelöst, und es herrschte klare Sicht. Die Strande von Kennebunk und Ogun-quit und York sahen aus wie auf einer Panoramapostkarte - die kobaltblaue See, der khakifarbene Sand und dahinter die Landschaft von Maine mit ihren sanften Hügeln und den von Waldstreifen durchzogenen Feldern. Sie war wunderschön. Und seine Depressionen wurden davon nur noch schlimmer.
Wenn ich heulen muß, werde ich es verdammt in der Toilette tun, dachte er grimmig. Und das alles hatten die paar Sätze auf schäbigem Papier angerichtet. Wie zerbrechlich war doch diese Welt, so zerbrechlich wie Ostereier, die außen bunt und innen hohl sind. Erst in der letzten Woche hatte er daran gedacht, einfach auszuziehen und Tad mitzunehmen. Und jetzt überlegte er sich schon, ob Donna und Tad überhaupt zu Hause sein würden, wenn er von seiner Reise zurückkam. Konnte es nicht sein, daß Donna das Kind nahm und verschwand? Vielleicht zu ihrer Mutter in die Poconos?
Ganz sicher war das möglich. Vielleicht hielt sie eine Trennung von zehn Tagen für zu kurz. Für ihn und für sich selbst. Vielleicht wäre eine Trennung von zehn Monaten besser. Und Tad war bei ihr. Das zählte vor dem Gesetz schon neun Punkte.
Und vielleicht, füsterte eine Stimme in ihm, vielleicht weiß sie, wo Steve Kemp ist. Vielleicht beschließt sie, zu ihm zu fahren, es eine Zeitlang mit ihm zu probieren Die beiden könnten versuchen, an ihre glückliche Vergangenheit anzuknüpfen. Ein sehr seltsamer Gedanke für den Montagmorgen, sagte er sich ungehalten, aber er wurde den Gedanken nicht los. Fast. Aber nicht ganz.
Er hatte sein Glas bis auf den letzten Tropfen geleert, als die Maschine in Logan landete. Er hatte Sodbrennen bekommen und wußte, daß es ihn den ganzen Vormittag quälen würde - wie der Gedanke an Donna mit Steve Kemp - und wenn er zwanzig Tabletten schluckte. Aber seine Depressionen waren nicht mehr so schlimm. Also hatte es sich vielleicht doch gelohnt.
Vielleicht.
Joe Camber betrachtete den Werkstattfußboden unter seinem großen Schraubstock mit einiger Verwunderung. Er schob sich
den grünen Filzhut ins Genick und starrte noch eine Weile auf das, was er vorgefunden hatte. Dann steckte er ein paar Finger zwischen die Zähne und stieß einen durchdringenden Pfiff aus.
» Komm! Heh, Junge! Komm, komm «
Er pfiff noch einmal, stemmte die Hände auf die Knie und bückte sich. Der Hund würde gleich kommen, daran zweifelte er nicht. Cujo lief nie weit weg. Aber wie sollte er sich in diesem Fall verhalten?
Der Hund hatte in der Werkstatt auf den Fußboden geschissen. Er konnte sich nicht daran erinnern, daß Cujo das je getan hatte, nicht einmal als Welpe. Er hatte gelegentlich irgendwo gepinkelt und das eine oder andere Kissen zerfetzt, aber so etwas hatte es noch nicht gegeben. Er überlegte kurz, ob irgendein anderer Hund es getan haben konnte, aber er verwarf den Gedanken. Soweit er wußte, war Cujo der größte Hund in Castle Rock.
Große Hunde fraßen viel, und große Hunde schissen auch viel. Kein Pudel, kein Beagle und keine Promenadenmischung hätte diesen Haufen hier hinsetzen können. Ob der Hund wohl gemerkt hatte, daß Charity und Brett für eine Weile verreisen würden? Wenn das
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