Cupido #1
immer wackliger aus.»
Er hörte das Zittern in ihrer Stimme; sie klang genauso verzweifelt wie neulich im Büro. «Wie geht es dir?», fragte er besorgt. «Ist alles in Ordnung? Möchtest du vielleicht, dass ich zu dir –»
Doch sie schnitt ihm das Wort ab, als sie merkte, was er vorschlagen wollte. «Hör zu, ich lass dich jetzt wieder schlafen», sagte sie schnell, bevor ihr die Tränen kamen. «Tut mir Leid, dass ich dich geweckt habe. Gute Nacht.»
Sie legte auf. Er wusste, dass sie weinte. Dass sie allein in der Dunkelheit ihres einsamen Büros mitten in dieser verdammten Stadt saß und weinte. Dominick stand auf und lief rastlos durch die Wohnung. Er war jetzt hellwach.
Sie balancierte zu nah am Abgrund entlang. Er hörte es an ihrer Stimme, sah es in ihrem Blick, in den vergangenen Monaten, den letzten Tagen. Wenn sie nur einen falschen Schritt machte oder stolperte ...
Er sah aus dem Wohnzimmerfenster in Richtung Innenstadt, wo sie war, einsam und verzweifelt.
Er hoffte nur, dass er da wäre, um sie aufzufangen, wenn sie fiel.
75.
DR. Immer wieder waren diese beiden Buchstaben in Bantlings Kalender gekritzelt. An verschiedenen Tagen der Woche, zu verschiedenen Zeiten. Tag oder Nacht. Das letzte Mal nur einen Tag, bevor Anna Prado in Bantlings Kofferraum entdeckt wurde. Was hatten diese Buchstaben zu bedeuteten? War DR ein Ort? Eine Person? Eine Sache? Eine Idee? Gar nichts?
C. J. dröhnte der Kopf vom vielen Nachdenken. Sie schüttete kalten Kaffee in sich hinein, weigerte sich aufzugeben und nach Hause zu gehen. Bald lohnte es sich sowieso nicht mehr. Der Prozess ging um acht Uhr weiter, und jetzt war es halb drei. Auf ihrem Tisch stapelten sich Papiere, Adressbücher, Bankauszüge, Steuerbelege. Alles, was in Bantlings Haus und Wagen beschlagnahmt worden war oder Tommy Tan der Sonderkommission zur Verfügung gestellt hatte. Vor ihr lag alles, was es über William Bantling zu wissen gab, ausgebreitet wie ein offenes Buch. Sie hatte die Kalender und Notizbücher durchgeblättert, sich seine Geschäftstermine angesehen, Steuererklärungen und Quittungen gelesen. Man würde sie für verrückt halten, dass sie Aufzeichnungen durchkämmte, die so banal, so alltäglich waren und wahrscheinlich gar keinen Beweiswert hatten. Außerdem waren die gleichen Bücher, Kalender, Adressverzeichnisse und Dokumente schon von erfahrenen Ermittlern durchleuchtet worden. Aber trotzdem musste C.J. alles noch einmal durchgehen, musste mit eigenen Augen sehen, wie Bantlings es schaffte, mit sich leben zu können, jeden einzelnen Tag, einen ganz normalen Alltag zu verbringen. Und vielleicht, ganz vielleicht, hatten die erfahrenen Ermittler ja irgendetwas übersehen ...
Sie blätterte durch den Terminkalender, der mit der Reisetasche vom Rücksitz des Jaguar sichergestellt worden war. Der abgewetzte schwarze Ledereinband war voll gestopft mit Adresslisten und Visi tenkarten, mit Streichholzbriefchen und Bierdeckeln, auf die Namen und Nummern gekritzelt waren. Sie versuchte, Bantlings unleserliche Schrift zu entziffern, auf der Suche nach irgendwas. Was, wusste sie selbst nicht. Ein Graphologe hatte ihr einmal erzählt, dass er allein an der Unterschrift erkennen konnte, ob er einen gesunden Menschen oder einen Verrückten vor sich hatte. Daran dachte sie jetzt und fragte sich, was ihm wohl das Gekliere in Bantlings kleinem schwarzem Buch sagen würde.
Im Adressteil waren Hunderte von Einträgen, oft nur Vorname und Nummer, und fast alles waren Frauen. Anscheinend hatte er den Namen jedes weiblichen Wesens, das er überhaupt je kennen gelernt hatte, hier eingetragen. Manche Namen kannte sie aus den Vernehmungsberichten der Sonderkommission. Andere sagten ihr gar nichts. Als sie die Namen von Dutzenden von Frauen durchging, kam ihr plötzlich ein beklemmender Gedanke, und sie überschlug ein paar Seiten bis L, um sicherzugehen, dass in dem unheimlichen schwarzen Buch nicht etwa ihr eigener Name auftauchte. Sie ging die Seite durch, aber es war keine Larson dabei. Dann blätterte sie zu den Einträgen unter C zurück; hastig überflog sie die Zeilen. Halb erwartete sie, dass dort in seiner irren Sauklaue quer über eine Seite gekrakelt stünde: Für einen besonderen Abend: Chloe! 202–18, Apt. 1B, Rocky Hill Road, Bayside, New York. Mit angehaltenem Atem las sie sich einen Eintrag nach dem anderen durch. Doch ihr Name stand dort nicht, und sie atmete auf.
Die Erleichterung war nur von kurzer Dauer. Sie
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