Cupido #1
hatte unter C einen anderen Namen in Bantlings schwarzem Buch entdeckt, in winzigen, hastig gekritzelten Buchstaben, beinahe unleserlich, aber eben nur beinahe. Ein Name, der sie vollkommen verblüffte, mit dem sie niemals gerechnet hätte. Und sie wünschte auch, sie hätte ihn niemals entdeckt.
Chambers, G.
22, Almeria Street
Coral Gables, FL
76.
Greg Chambers. Wie kam sein Name in Bantlings Adressbuch? Woher kannten sich die beiden? Und kannten sie sich überhaupt, oder hatte Bantling Gregs Namen irgendwo aufgeschnappt und ihn vorsorglich als Psychiater, als Kontaktadresse notiert?
C. J. stand auf und lief durch ihr Büro, ihre Gedanken rasten. Falls sie sich kannten, hätte ihr Greg dann nicht davon erzählt? Doch, das hätte er. Ganz sicher. Also hatte er nicht gewusst, dass Bantling seinen Namen hatte. Hatte keine Ahnung, dass er in Bantlings Buch stand. So, wie der Terminplaner aussah, konnten die Einträge Jahre alt sein. Vielleicht hatte sein New Yorker Arzt Bantling die Adresse gegeben, oder sie hatten sich vor Ewigkeiten flüchtig kennen gelernt. Greg wäre sicher genauso überrascht wie sie, seinen eigenen Namen hier zu entdecken. Es konnte gar nicht anders sein.
Doch während sie im Büro auf und ab marschierte, tauchten alle möglichen Szenarien vor ihr auf. Die wohl bekannte Paranoia schnürte ihr wieder die Kehle zu, bemächtigte sich ihrer Gedanken. Die Frage Was wäre wenn? drängte sich immer wieder in ihr Bewusstsein.
Was wäre, wenn sich die beiden kannten? Was wäre, wenn sie Freunde waren? Was wäre, wenn sie noch mehr waren? Sie kämpfte gegen die lähmende Angst. Angst, dass Bantling es geschafft haben könnte, aus seiner Gefängniszelle heraus diese kleine Überraschung für sie zu planen. Angst, dass er die Worte, die er ihr Vorjahren eingeflüstert hatte, wahr machte.
Ich werde dich immer beobachten, Chloe, immer. Du entkommst mir nicht, denn ich werde dich immer finden.
Angst, dass er überall war, sie beobachtete, ihr selbst die abwegigsten Gedanken diktierte.
Sie betrachtete die Papiere auf ihrem Schreibtisch, den kalten Kaffee, die heruntergelassenen Jalousien in dem dunklen Büro, das nur vom schwachen Schein der Schreibtischlampe beleuchtet wurde. Es war drei Uhr morgens, und sie musste um acht im Gericht sein. Seit September hatte sie so gut wie keine Nacht mehr als vier Stunden geschlafen.
Du siehst Gespenster. Bleib rational! Der Fall frisst dich auf. Bantling frisst dich auf. Er saugt dich bei lebendigem Leib aus. Und du lässt es zu.
Stress spielte bei vielen Erkrankungen eine große Rolle, egal ob körperlich oder geistig. Sie wusste, dass Stress auch ihren letzten Zusammenbruch mit ausgelöst hatte. Sie musste ihn in den Griff bekommen, bevor er sie überwältigte, bevor sie wieder die Kontrolle verlor. Ihr Privatleben, ihre Karriere – alles geriet ins Schleudern, genau wie damals. Genau wie damals. Alles wiederholte sich. Die Parallelität war beängstigend.
Nachdem sie ihre letzte Zigarette ausgedrückt hatte, schnappte sie sich ihre Tasche; das Adressbuch nahm sie mit. Sie rief am Empfang an, weckte den Wachmann und nahm den Fahrstuhl nach unten.
Sie musste raus hier. Wenigstens kurz. Nachdenken. Sich ausruhen, sagte sie sich.
Bevor alles außer Kontrolle geriet.
So wie damals.
77.
Estelle packte gerade ihre Siebensachen in einen großen Strohkorb, als C. J. an die Glasscheibe klopfte. Es war kurz nach neunzehn Uhr am Donnerstagabend, drei Tage vor Silvester.
«Oh, Ms. Townsend!» Überrascht blickte sie von der Tasche auf und legte die klauenbewehrte Hand aufs Herz. «Sie haben mich vielleicht erschreckt. Ich habe Sie gar nicht gesehen.»
«Tut mir Leid, Estelle. Ist Dr. Chambers da?»
«Ja», sagte sie zerstreut und ging das Terminbuch durch. «Aber, also, er hat gerade einen Patienten.» Sie sah C. J. an und runzelte die Stirn. «Das muss ein Missverständnis sein, ich habe Sie für heute Abend gar nicht eingetragen.»
C.J. wusste, dass Estelle darauf brannte, die große Preisfrage zu stellen: Wie geht es Ihnen? Sie sehen aber gar nicht gut aus! Selbst Richter Chaskel hatte sie heute unter vier Augen sprechen wollen, um zu fragen, was mit ihr los war. Das Make–up konnte die Augenringe nicht mehr verbergen. Sie war sowieso schon zu dünn und hatte allein in der letzten Woche drei Kilo abgenommen. Die Sorgenfalten auf ihrer blassen Stirn wurden täglich tiefer. C.J. erklärte jedem, es sei nur der Schlafmangel. Sie
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