Cupido #1
Prados Leiche gefunden hatten, die Ermittler der Sonderkommission, Special Agent D. Falconetti, FD LE #0277.
Vom Tag seiner Festnahme an hatte sie einundzwanzig Tage Zeit, um von der Grand Jury eine Anklage gegen Bantling wegen Mordes zu erwirken. Das bedeutete, sie musste alle Zeugen verhören, die Aussagen sammeln und ein Memo für die Grand Jury erstellen, das dann Tiglers Stellvertreter Martin Yars bekam. Yars war der einzige Ankläger im ganzen Haus, der Fälle vor der Grand Jury vertreten durfte. Also würde er auch die Anklage gegen Bantling erwirken, wahrscheinlich aufgrund der Aussage von Dominick Falconetti, in Funktion des Leiters der Sonderkommission Cupido. Die Grand Jury trat immer nur mittwochs zusammen. Da heute bereits Donnerstag war, hatte sie nur noch zwei Termine zur Verfügung. Wenn sie es nicht schaffte, den Fall innerhalb dieser Zeit vor die Grand Jury zu bringen, müsste sie zumindest eine «normale» Strafanzeige wegen Totschlags erstatten – ebenfalls innerhalb der drei Wochen – und dafür müsste sie Beweismaterial vorlegen, das den Angeklagten belastete. Dann würde sie die Anklage wegen Mordes nachreichen, sobald Yars das nächste Mal vor die Grand Jury treten konnte. So oder so brauchte sie also die vereidigten Aussagen aller Zeugen. Einundzwanzig war die magische Zahl, und einundzwanzig Tage waren nicht besonders viel Zeit.
Sie trank den letzten Schluck des Dunkin'–Donuts–Kaffees und massierte sich die Schläfen. In ihrem Kopf hämmerte es. Sie musste einen Entschluss fällen, wie sie weitermachen würde. Ob sie weitermachen würde. Zeit war der springende Punkt, und sie konnte sich keine Bedenkfrist leisten. Alle Cops mussten einbestellt und ihre Aussagen aufgenommen werden, und das auch nur zu organisieren würde schon ein paar Tage dauern.
Sie sah auf die Uhr. Es war schon halb zehn. Sie nahm die Handtasche und die Sonnenbrille und ging eilig hinaus, vorbei am Sekretariat und der muffigen Marisol, die heute von Kopf bis Fuß lila Lycra trug.
C. J. schwor sich, eine Entscheidung zu treffen, so oder so.
Wenn sie zurückkam.
30.
Es war ein kleines zweistöckiges Haus auf der Almeria Road in Coral Gables, einem reichen Vorort von Miami. Gebaut im alten spanischen Stil, wahrscheinlich vor gut sechzig Jahren, war es vollkommen quadratisch, ockergelb verputzt und das Satteldach mit orangebraunen Ziegeln gedeckt. Die schönsten Blumen wuchsen in den Terrakottakästen auf den Fensterbänken, und üppige Rabatten säumten den gepflasterten Weg zu einer Eichentür mit gusseiserner Klinke. Es wirkte überhaupt nicht wie eine psychiatrische Praxis. Aber genau über dem Briefkasten hing ein kleines Schild: Dr. Gregory Chambers.
C. J. öffnete die Tür und trat ein. Das Wartezimmer mit den mexikanischen Fliesen war in Hellgelb und Blassblau gehalten. Friedliche, beruhigende Farben. Große Palmen standen in jeder Ecke des Raums, dazwischen, an den Wänden, einladende Ledersessel. Auf einem riesigen Mahagonitisch stapelten sich alle möglichen Zeitschriften, und im Hintergrund sang Sarah Brightman Schuberts «Ave Maria». Leise, entspannende Musik. Damit die reichen Irren sich nicht aufregten oder gar überschnappten, wenn sie den Onkel Doktor besuchten.
Estelle Rivero, die Sekretärin, saß hinter einer blassgelben Wand, die die Gesunden vor den Kranken schützte. Durch ein kleines Glasfenster sah man nur ihre dramatisch hochtoupierte, herbstlaubfarbene Frisur.
Das Wartezimmer war leer. C. J. klingelte sacht mit der kleinen Metallglocke neben dem Fenster. Es läutete hell, und Estelle schob die Scheibe zur Seite.
«Hallo, Ms. Townsend! Wie geht es Ihnen?»
Das geht Sie gar nichts an!
«Gut, Estelle. Wie geht es Ihnen?»
Estelle stand auf. Das Haar verschwand aus dem Blickfeld, dafür sah man jetzt ihr Gesicht. Sie war höchstens ein Meter fünfundfünfzig groß.
«Sie sehen gut aus, Ms. Townsend. Ich habe Sie gestern in den Nachrichten entdeckt. Was für ein kranker Kerl, nicht wahr? Was hat er diesen armen Mädchen bloß angetan!»
Mehr als Sie glauben, Estelle. Mehr als Sie glauben.
«Ja, er ist definitiv gestört.» Sie trat ungeduldig von einem Bein aufs andere.
Estelle legte die faltigen Patschehändchen an den Mund und schüttelte den Kopf. Auf jedem ihrer fünf Zentimeter langen Fingernägel klebte eine goldene Träne. «Es ist furchtbar. All diese hübschen Kinder. Dabei sieht er ganz normal aus, wie ein netter, anständiger Mann. Aber man
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