Cupido #1
letzten zehn Jahren jemand in den Fall hineingesehen, nachdem sie aufgehört hatte, die Detectives täglich anzurufen. Vielleicht waren ihre Laken, ihr Pyjama, ihr Slip aus jener Nacht noch einmal untersucht worden, und plötzlich waren doch Körperflüssigkeiten aufgetaucht, wo man vorher nichts gefunden hatte. Vielleicht hatte man durch einen Zufall doch Anklage gegen Bantlings DNA erhoben. Vielleicht. Vielleicht. Vielleicht.
Sie wollte das Richtige tun, aber sie war sich nicht sicher, was das war. Sie wollte Bantling vor Gericht bringen. C. J. seufzte und sah aus dem Fenster ihres Büros auf die Thirteenth Avenue, wo die Straßenverkäufer bereits ihre Stände mit Hot Dogs und Getränkedosen aufstellten, dabei war es noch nicht einmal neun Uhr. An einem anderen Stand stapelten sich unter dem gestreiften Schirm frische Mangos, Papayas, Bananen und Ananas, und der Verkäufer bewegte sich zu lateinamerikanischen Rhythmen, die aus einem Kassettenrecorder unter seiner Theke kamen.
Letzte Nacht, als sie auf ihrem Balkon saß, hatte sie all diese Gedanken eine Million Mal in ihrem Kopf gedreht und gewendet. Und natürlich hatte sie über Dominick nachgedacht. Von allen Zeitpunkten war dieser für so etwas wie Liebe oder Leidenschaft der ungünstigste. Doch ausgerechnet jetzt war es passiert, und sie hatte ihn nicht weggestoßen. Geistesabwesend berührte sie ihre Lippen und dachte daran, wie sich sein Mund auf ihrem angefühlt hatte. Sie rief sich den Pfefferminzgeruch seines Atems und den besorgten Ausdruck seiner Augen zurück. Er hatte sie einfach nur gehalten, dort, an ihrer Wohnungstür, ihr über den Rücken gestreichelt, mit seinem warmen Atem an ihrem Ohr, und das Gefühl von Sicherheit war, wenn auch nur für fünf Minuten, überwältigend gewesen.
Sie war seit einer Ewigkeit mit keinem Mann mehr zusammen gewesen. Der letzte war ein Börsenmakler namens Dave gewesen, den sie betrunken in einer Bar kennen gelernt hatte und mit dem sie sich dann ein paar Monate lang traf. Sie fand ihn lustig und nett. Bis er plötzlich nicht mehr anrief. Rein zufällig genau, nachdem sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten. Als sie ihn fragte, weshalb er die Beziehung so plötzlich beende, sagte er, sie schleppe «zu viel Ballast» mit sich herum. Das war ein paar Jahre her. Die Nähe eines Mannes machte ihr Angst, es warf zu viel durcheinander, brach zu viele Wunden auf. Seitdem hatte sie zwar ein paar Rendezvous gehabt, doch nichts Ernstes, und vor allem kam ihr keiner zu nahe. Über ein Abendessen im Restaurant ging es kaum hinaus.
Und dann gestern Abend. Und dann Dominick. Es war ein Kuss gewesen, weiter nichts, und er hatte sich verabschiedet, als sie ihn darum gebeten hatte. Doch ihr gingen seine Worte nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte so ehrlich geklungen, und das Gefühl von Sicherheit hatte so gut getan. Aber Dominick war viel zu sehr in diesen Fall verwickelt, als dass er die Wahrheit erfahren dürfte. Und was war eine Beziehung ohne Aufrichtigkeit? Wie viele dünne Ausreden und Lügen würde sie spinnen müssen? Und selbst wenn es zur Debatte stünde, ihm alles zu erzählen, könnte sie jemals mit einem Mann über jene Nacht reden? Weshalb ihr Körper aussah, wie er aussah, wenn das Schlafzimmerlicht noch brannte?
Auf ihrem Schreibtisch stapelten sich die rosa Telefonnotizen. Sie würde den Pressesprecher der Staatsanwaltschaft bitten, auf die Anrufe der Zeitungen und Fernsehanstalten aus dem ganzen Land zu reagieren. Auf den obersten Zettel hatte Marisol in riesigen Großbuchstaben geschrieben: DAS IST DIE 3. NACHRICHT!! WARUM HABEN SIE NICHT ZURÜCKGERUFEN?! In dem Holzkasten auf ihrem Schreibtisch lag reichlich Post von heute. Neben Cupido war C.J. noch an zehn anderen Mordfällen dran, zwei davon würden in den nächsten zwei Monaten verhandelt werden. Sie hatte einen brisanten Haftprüfungsantrag nächste Woche, verschiedene Hearings und Treffen mit Angehörigen. Kein Termin durfte wegen Cupido vernachlässigt werden. Sie würde mit allen Bällen jonglieren müssen und konnte nur hoffen, dass sie keinen fallen ließ.
Sie sah sich die Rückseite von Bantlings dreiseitigem Festnahmeprotokoll an. Ungefähr fünfundzwanzig Cops waren dort aufgelistet. Anfangsbuchstabe des Vornamens, Nachname, Department und die Nummer der Dienstmarke. Sie alle waren Zeugen. Der Polizist, der Bantling angehalten hatte, die ersten Kolle gen vor Ort, die Hundestaffel, die Beamten, die den Kofferraum aufgebrochen und Anna
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