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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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bestach – die Orsini, die Sforza, die Savelli –, und seine zahlreichen Intrigen habe er durch den Verkauf von Kardinalsrängen an die Meistbietenden finanziert. Er war ein Mörder: Mithilfe seines Sohnes Cesare, des Herzogs von Valentinois, pflegte er sich seiner Feinde zu entledigen, indem er sie zum Essen einlud und dort vergiftete. Er hatte acht Kinder von drei verschiedenen Frauen und eine unendliche Schar Geliebter, von denen einige noch minderjährig waren. Die Biografen berichten sogar von inzestuösen Beziehungen zu seiner Tochter Lucrezia, die ebenfalls zu Gift griff, um ihre Ehemänner loszuwerden.
    »Alexander VI. pflegte seine Feinde also zu vergiften …«, sagte Raisa nachdenklich.
    »Ich verstehe, woran Sie denken, aber ich sehe keinen Grund, warum der Papst Picos Tod gewollt haben sollte. 1493 hatte er Pico sogar von allen Anklagen auf Ketzerei freigesprochen.«
    »Aber Rodrigo Borgia interessierte sich für Esoterik, für die Kabbala und Magie. An die Decke eines seiner Gemächer ließ er eine Darstellung von Isis und Osiris malen. Ein seltsames Fresko in der Wohnung eines Papstes, vor allem zu jener Zeit, finden Sie nicht auch?«
    Pater Montague nickte versonnen. »Das stimmt, wenn ich es mir recht überlege. Dieses Fresko kann man noch heute in der Sala dei Santi sehen. Aber ich verstehe noch nicht, worauf Sie hinauswollen.«
    »Auch Pico beschäftigte sich mit Esoterik, der Kabbala und magischen Orakeln. Ist das ein Zufall?«
    »Wahrscheinlich ist es nur ein sonderbarer Zufall.«
    »Ein Motiv hätte der Papst allerdings haben können, wenn er aufgrund ihrer beider Beschäftigung mit esoterischen Themen von einem theologischen Geheimnis erfahren hätte, das Pico hütete. Kein banales Geheimnis, sondern eines von solcher Tragweite, dass es die Grundlagen des christlichen Glaubens erschüttern konnte.«
    Pater Montague blickte Raisa schweigend an.
    »Überdies gibt es weitere Zufälle, die mir zu denken geben. Zwei, um genau zu sein. Pico wurde just an dem Tag ermordet, an dem die Medici, seine Beschützer, aus Florenz verjagt wurden und an dem Karl VIII. in Florenz einmarschierte.«
    Karl VIII. war nach Italien gekommen, um den Anspruch der Anjou auf das Königreich Neapel durchzusetzen, und er war ein Feind der Kirche. Er hatte Pico 1488 in Frankreich auf Bitten Lorenzos aus dem Gefängnis holen lassen. Nach dem Ende der Medici hätte der König Picos neuer Beschützer werden können – in den Augen der Kirche ein gefährlicher Verbündeter.
    »Ich stimme mit Ihnen überein, dass es an Hinweisen nicht mangelt.« Pater Montague streichelte seinen Spitzbart. »Freilich können wir so viele Hypothesen aufstellen, wie Sie wollen, die Wahrheit werden wir doch niemals erfahren. Wir haben keine Beweise außer den Verdachtsmomenten von Fra Uguccione.«
    »Einige Gifte, z. B. Arsen, hinterlassen noch nach Jahrhunderten Spuren. Beim Blauen Eisenhut bin ich mir nicht sicher. Man könnte die Behörden bitten, Picos Leichnam für eine rechtsmedizinische Untersuchung zu exhumieren. Und das Vatikanische Geheimarchiv könnte uns vielleicht eine Menge anderer Informationen über Rodrigo Borgia liefern.«
    »Wer mag an einer solchen Sache Interesse haben?«
    »Die Kirche gewiss nicht, Pater.«
    Nachdem das Tor des Klosters sich hinter ihr geschlossen hatte, schlug Raisa den Weg zur Kirche San Marco ein. Sie blickte zur barocken Fassade auf, dann ging sie hinein. Am Querschiff trat sie vor den zweiten Altar.
    Der Grabstein von Giovanni Pico della Mirandola befand sich in einer Seitenwand, neben denen seiner Freunde Agnolo Ambrogini und Girolamo Benivieni. Raisa blieb, in stumme Betrachtung versunken, vor dem Grab stehen.
    Johannes iacet hic Mirandola. Caetera norunt et Tagus et Ganges forsam et Antipodes . »Hier liegt Giovanni Mirandola. Alles andere wissen der Tajo, der Ganges und vielleicht auch die Antipoden.«
    Ihre Gedanken wanderten zu der Intarsie des Hermes Trismegistos im Fußboden des Doms von Siena. Vielleicht würde es nicht nötig sein, bis zu den Antipoden zu reisen, um »alles andere« zu erfahren. Sie drehte sich um und ging zum Ausgang.
    Das Geräusch ihrer Absätze auf den Steinen hallte durch das stille Kirchenschiff.

    Théo sammelte das Glas und die halb leere Flasche ein, ging mit wackeligen Beinen ins hell erleuchtete Schlafzimmer und stellte beides auf den Nachtisch. Dann setzte er sich auf den Bettrand und ließ seinen Blick über die Buchrücken im Regal am Kopfende des Bettes

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