Curia
ausgestiegen und beobachteten mit gereckten Köpfen das Schauspiel.
Am nächsten Tag verkündete die Schlagzeile der »Daily Mail«: »Nächtliches Manöver an Cleopatra’s Needle gestoppt«. Unter dem Titel zeigte ein Foto die bestürzten Gesichter von Archibald und Phil im Licht der Stablampen.
»Ich hab’s gelesen«, sagte die Stimme.
»Kowalski hatte im Bistro richtig gehört«, sagte eine zweite Stimme mit amerikanischem Akzent am anderen Ende. »Der Archäologe steckt dahinter. Er hat die Pergamente seines Bruders.«
»Wahrscheinlich.«
»Die Warnung in der Garage hat nichts genützt. Was hat Konstantine in Siena gemacht? Wer ist der Typ, den er auf der Piazza getroffen hat? Damn it! Die drei führen was im Schilde. Wir müssen sie aufhalten.«
» Mon cher ami , du bist zu ungeduldig, das ist ein Fehler von euch Amerikanern. Rousseau, ein Franzose, hat gesagt, Geduld ist bitter, aber ihre Früchte sind süß.«
»Conte, weißt du, was Benjamin Franklin, ein Amerikaner, darauf geantwortet hat? ›Wer hoffend lebt, stirbt hungrig.‹«
»Der Archäologe könnte uns zu etwas Unerwartetem führen. Es ist besser zu warten.«
»Warten, immer nur warten. Shit! Das ist alles, was ihr könnt, ihr Europäer.«
Théo ging durch die Empfangshalle der Zentrale von Interpol, betrat den Lift und fuhr in den achten Stock.
Ein Polizist mit Augenbrauen wie Breschnew kontrollierte seinen Passierschein, dann zeigte er ihm den Weg. Théo ging durch den Flur und hielt vor einer Bürotür mit dem Schild: »Raymond Joubert, Directeur, Unité Art et Antiquités«. Er klopfte.
Joubert war am Telefon. Der Abteilungsleiter bedeutete ihm, sich vor die Fensterfront zu setzen, von der aus man den ganzen Park de la Tête d’Or überblicken konnte.
Théo setzte sich und überlegte noch einmal, was er Joubert sagen würde. Der Tonfall war entscheidend. Wenn du jemandem eine Lüge erzählst, musst du vorher gut proben, vor allem wenn es eine dreiste Lüge ist. Wie kannst du verlangen, dass sie anderen einleuchtet, wenn sie dir selbst nicht glaubwürdig erscheint?
»Mein lieber St. Pierre, was verschafft mir die Ehre?« Joubert, ein großer, dürrer Mann mit Dackelblick, setzte sich ihm gegenüber. »Wenn der Archäologe des Louvre sich aufrafft, bis nach Lyon zu uns Provinzlern zu kommen, muss die Sache ernst sein.«
»Was würde Interpol machen, wenn ihr entdeckt, dass der Geheimdienst eines westlichen Landes einen sehr wertvollen antiken Gegenstand versteckt, wohl wissend, dass er gestohlen wurde?«
Joubert fuhr sich mit dem Finger unter dem Hemdkragen entlang. »Immer schön der Reihe nach und keine Ratespiele bitte. Wer soll was, wann, wo und wem gestohlen haben?«
»Der ›Wer‹ ist der Archäologe Howard Carter, das ›Was‹ ist ein ägyptischer Papyrus aus der 18. Dynastie, das ›Wann‹ ist das Jahr 1922, das ›Wo‹ das Grab Tutanchamuns und – was fehlt? –, ach so, das ›Wem‹ ist die ägyptische Regierung.«
»Und wer wäre der betreffende Geheimdienst?«
»Der MI 6.«
Joubert schlug die Beine übereinander, und sein rechter Fuß fing an zu wippen. Théo beschlich ein verwirrendes Gefühl: dass dem Abteilungsleiter keineswegs neu war, was er soeben gehört hatte. War das möglich? Nein, das war absurd.
»Was hat der Louvre mit der Sache zu tun?«, fragte Joubert.
»Ich nehme an, Sie kennen Doktor Ghazi, den Generalsekretär des Supreme Council of Antiquities im ägyptischen Kultusministerium?«
»Wer kennt ihn nicht?«
»Das Supreme Council of Antiquities ist entschlossen, die Rückgabe aller ägyptischen Altertümer zu fordern, die widerrechtlich im Ausland aufbewahrt werden, ohne Ansehen der betroffenen Institutionen. Der Streit mit dem Ägyptischen Museum in Berlin um die Rückgabe der Büste der Nofretete und mit dem British Museum um den Rosetta-Stein ist nur der Anfang.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Was hat der Louvre damit zu tun?«
»Vor einer Woche hat mich Ghazi angerufen und mir eine hübsche Geschichte erzählt. Wollen Sie sie hören?«
Er berichtete Joubert von dem Papyrus aus Tuts Grab und allen Anzeichen, die auf den englischen Geheimdienst hindeuteten. Er erzählte die Geschichte so, als basierte sie auf dem, was der Generalsekretär des ägyptischen SCA ihm anvertraut hatte.
»Bis hier hat Ghazi nur Vermutungen zu bieten«, sagte Joubert achselzuckend.
»Nach dem Telefonat habe ich Recherchen angestellt.« Théo reichte Joubert einige handbeschriebene
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