Curia
Röhrchen in ihre Handtasche. Sie zog den Kittel aus und verließ die Klinik.
Vor dem Denkmal von Philippe Pinel bog ihr Mazda in den Boulevard de l’Hôpital ein. Ein grauer Citroën Berlingo kam aus der Place Marie Curie und fuhr in dieselbe Richtung.
Raisas Telefon klingelte.
»Ich bin’s, Jules. Ich bin gerade mit der Untersuchung der Probe fertig. Raisa, wo hast du das Zeug her?«
»Warum?«
»Weil ich auf alle möglichen Weisen versucht habe, es zu analysieren, verdammt, nicht nur mit dem Massenspektrometer und dem Spektralfotometer. Eines kann ich dir jetzt schon sagen: Das Element, aus dem dieses Pulver besteht, ist unbekannt, jedenfalls auf diesem Planeten. Ich würde Linus Pauling persönlich herausfordern, mir das Gegenteil zu beweisen, wenn der Gute noch unter uns weilte.«
»Ist es eine einatomige Substanz?«
»Das Diagramm des Spektrometers zeigt nur einen einzigen Absorptionswert, also gibt es nur eine Art Atom und kein Isotop.«
»Dieses Atom taucht nicht auf der Tabelle des Periodensystems der Elemente auf. Ist es das, was du sagen willst?«
»Ich denke, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt, es sei denn, Mendelejew hat eines vergessen.«
»Könnte es kein Isotop sein?«
»Wofür hältst du mich? Ich habe es mit dem Spektralfotometer analysiert, und der Computer hat sein Spektrum mit denen aller Elemente des Periodensystems verglichen, einschließlich der Isotope.«
»Ist dir bei den Spektren wirklich keine Idee gekommen?«
»Na ja, einen Augenblick lang habe ich bei den Frequenzen der Absorptionswerte an ein Übergangsmetall gedacht, aber dann habe ich die Idee verworfen. Es ergibt keinen Sinn, denn keines der Übergangsmetalle kann in seiner einatomigen Form als Pulver auftreten.«
»Erklärst du mir bitte, was Übergangsmetalle sind?«
»Es sind die Metalle zwischen der dritten und der zwölften Gruppe im Periodensystem, also die in der Mitte. Platin, Silber, Tantal, Iridium, Gold … um dir nur ein paar zu nennen.«
Gold. Raisas Blick fiel auf die Ampulle. Gold war eines der Übergangsmetalle.
»Kommen die Elemente des Periodensystems alle in der Natur vor?«
»Nein. Von den 118 Elementen des Periodensystems sind nur 92 natürlich. Die anderen sind synthetisch.«
»Du meinst, sie wurden im Labor erzeugt?«
Am anderen Ende ertönte ein herzhaftes Lachen. »Bestimmt nicht in einem Chemielabor für den Hausgebrauch. Man muss den Kern eines bekannten Elements mit einem Haufen subatomarer Teilchen bombardieren, und zwar mit sehr hoher Geschwindigkeit, fast schon mit Lichtgeschwindigkeit. Verstehst du?«
Dafür brauche man Maschinen wie das Synchrotron, erläuterte Duval, einen ringförmigen Teilchenbeschleuniger riesigen Ausmaßes. Duval nannte das Synchrotron des CERN in Genf, dessen Ring einen Durchmesser von siebenundzwanzig Kilometern hatte und etwa hundert Meter tief unter der Erde lag.
Die dafür benötigte Energie, so Duval, sei eine Lappalie. »Mehrere Billionen Elektrovolt, die Energie einer Kernspaltung. Darum frage ich mich, woher dieses Pulver stammt. Mir fällt nur eine mögliche Erklärung ein: Es ist ein neues Element, erzeugt von jemandem, der einen Teilchenbeschleuniger besitzt.«
»Das kannst du ausschließen.«
»Warum?«
»Weil dieses Pulver mindestens fünfhundert Jahre alt ist.«
»Raisa, ich bitte dich! Glaubst du, im Mittelalter hätte jemand über eine solche Energiequelle verfügt?«
»Aber das Pulver existiert.«
Eine Pause entstand. »Du willst der Sache wirklich auf den Grund gehen?«
»Du kennst mich doch.«
»Und ob ich dich kenne! Wenn du’s drauf ankommen lässt, bist du schlimmer als die Zeugen Jehovas. Von deiner reizenden Freundin Constance ganz zu schweigen. Na gut. Gehen wir das Problem andersherum an. Erst betrachten wir die physikalischen Eigenschaften des Pulvers, und dann überlegen wir, was es ist.«
»Welche physikalischen Eigenschaften?«
»Parameter wie elektrische Leitfähigkeit, Schmelzpunkt, kristalline Struktur … das Übliche eben. Bist du dir wirklich sicher, dass du mir nicht mehr sagen kannst?«
Hieß es nicht im Totenbuch, dass der Pharao jedes Mal, wenn er fragte: ›Was ist das?‹, von einer Lichtexplosion geblendet wurde? Und stieg der Pharao nicht von der Spitze eines Obelisken, die die Sonnenstrahlen reflektierte, auf einer Leiter aus Lichtstrahlen zum Himmel auf?
»Stell dir bei dem Pulver eine Explosion aus Licht vor … und einen Sprung in eine andere Welt.«
»Hör mal, wir sind hier nicht in
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