Curia
»Sinai«. Forscher hätten daraus geschlossen, dass die beiden Namen gleichbedeutend seien.
»In Exodus 3,12«, fuhr Théo fort, »sagt Gott zu Moses: ›Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast, werdet ihr Gott an diesem Berg verehren.‹ Und falls du immer noch Zweifel hast, hör dir 4,19 Exodus an: ›Der Herr sprach zu Moses in Midian: Mach dich auf und kehr nach Ägypten zurück, denn alle, die dir nach dem Leben getrachtet haben, sind tot.‹«
Khalid fuhr langsamer. Eine Herde Schafe überquerte, gefolgt von einem Kamel, die Straße. Auf dem Kamel ritt ein Beduine, nur seine Augen schauten aus der um sein Gesicht gewickelten Guthra heraus. Khalid fuhr weiter.
»Ein Berg Sinai im Süden der Halbinsel Sinai«, sagte Théo, »das ist, als hätte Moses sich Jethros Schafe auf den Rücken geladen, wäre durch den Golf von Aqaba geschwommen und hätte sie zum Weiden an den Fuß des Sinai gebracht, einen Ort, wo kein Grashalm wächst und kein einziger Regentropfen fällt. Sehr bequem und sehr intelligent.«
»Aber wie kommt die Kirche dazu, so etwas Dummes zu behaupten?«
»Wenn man sie nur lange genug wiederholt, wird eine Lüge zum Orakel des Apoll. Das Unbeweisbare behaupten und erreichen, dass die Leute es glauben, ist das Marketinggeheimnis des Vatikans.«
Nakhl bestand aus einer Handvoll sonnenverbrannter Häuser mitten auf der Hochebene der Wüste Paran. Sie kamen an einer verfallenen Festung und einem koptischen Friedhof vorbei und gelangten in eine von Palmen und Tamarisken umgebene Oase. Khalid parkte neben der Laube eines Verkaufsstandes, vor dem sich Beduinen und Touristen drängten.
Sie bestellten Zuckerrohrsaft und zwei mit Kalbfleisch und Gemüse gefüllte Pita-Brotrollen. Damit setzten sie sich auf den Stumpf einer Tamariske. An einer Palme lehnten zwei Fahrräder mit der australischen Fahne, und von einem Tisch erklang die Melodie von Waltzing Matilda , gespielt von einer Mundharmonika.
Der Cherokee-Jeep parkte im Schatten der Palmen. Monsignore Guzman ging an Théo und Khalid vorbei auf die Laube zu. Théo blickte dem großen Mann im Westernhemd hinterher und überlegte, wo er ihn schon einmal gesehen hatte.
»Saudi-Arabien ist groß.« Khalid biss in sein Fladenbrot, das in einen Kegel fettiges Zeitungspapier gewickelt war. »Was machen wir, wenn wir dort ankommen? Suchen wir aufs Geratewohl nach dem Berg Mose?«
»Wir suchen nicht nach irgendeinem Berg. Es ist ein Vulkan.«
»Ein Vulkan?«
Théo schlug erneut die Bibel auf und zitierte Deuteronomium 4,11: »›Ihr ward herangekommen und standet unten am Berg, und der Berg brannte: Feuer, hoch bis in den Himmel hinauf.‹« Dann las er Exodus 19,16–18: »›Der ganze Sinai war in Rauch gehüllt, denn der Herr war im Feuer auf ihn herabgestiegen. Der Rauch stieg vom Berg auf wie Rauch aus einem Schmelzofen … Moses redete und Gott antwortete im Donner.‹ Reicht es dir, oder soll ich weiterlesen?«
»Genug, ich fühle mich schon wie geröstet. In Saudi-Arabien wimmelt es von Vulkanen, wie finden wir den richtigen?«
»In Exodus 13,21 heißt es, dass die Wolkensäule vor den Israeliten herzog. Wäre sie weiter südlich gewesen, hätte Moses sie nicht sehen können, weil sie zu weit entfernt war.«
Die Beschreibung der Säule aus Rauch und aus Feuer sei zu präzise, um reine Erfindung zu sein. Irgendjemand, der Mann, der Moses hieß, musste diese Säule wirklich gesehen haben, als er die Sinaihalbinsel in Richtung Nordosten durchquerte.
»Also muss der Vulkan auf jeden Fall im Nordwesten Saudi-Arabiens liegen«, sagte Théo, »dort, wo die Verlängerung der nordöstlichen Achse durch den Sinai entlangläuft.«
Khalid biss wieder in sein gefülltes Fladenbrot. »Wie viele Vulkane gibt es im Nordwesten Saudi-Arabiens?«
»Zwei Lavafelder, das Harrat ar Rahah und das Harrat Uwayrid mit mehreren Vulkanen.«
»He, warte mal. Eine Wolkensäule … eine Rauchsäule … Das bedeutet, dass der Vulkan ausgebrochen war! Wer sagt dir, dass einer dieser beiden Vulkane zur Zeit des Exodus deines Moses aktiv war?«
Théo zog ein Papier aus der Bibel. »Dieses Fax hat mir der Vulkanologe geschickt.« Er zeigte auf den Höchstwert an Schwefeldioxid, der mit der Jahreszahl um 1330 v. Chr. zusammenfiel. »Es kann nur der Harrat ar Rahah sein, der am weitesten nordöstlich gelegene Vulkan, der Einzige, den man vom Sinai aus hätte sehen können.«
Als sie zum Toyota zurückkehrten, begann die Mundharmonika wieder Waltzing Matilda zu
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