Cut
18.11.1971. Okay, okay, dann versuchen Sie es mit dem Namen: R-A-J-I-V neues Wort K-H-E-R. Ja, ich warte.« Er sah zu Mattie, die unschlüssig in der Tür stand. »Sie wissen noch nicht, ob sie außer deinem Artikel noch was haben.«
»Und du meinst wirklich, wir sollen jetzt gleich nach Bombay fahren? Die Adresse ist immerhin dreißig Jahre alt! Wollen wir nicht erst mal von hier aus weitermachen?«
Er versuchte betont gleichgültig zu antworten. »Es gibt keinen Grund, nicht zu fahren. Deine komische Tante Charlotte verheimlicht vielleicht was vor uns. Es wäre besser, wir könnten sie unsererseits mit deinem Vater konfrontieren. Ich bin dafür, den direkten Weg einzuschlagen.«
Den direkten Weg zu Cal. Wenn er die Augen schloss, konnte er ihn vor sich sehen, wie er auf der Rolltreppe in Heathrow stand. Sogar das sarkastische Lächeln auf seinen Lippen. Nick kam sich albern vor, wie ein Groupie. Der Typ war ein brillanter Musiker, aber deswegen musste er ihm doch nicht gleich hinterherlaufen! Nick dachte an seine alten Freunde aus der Hamburger Musikszene, die er in den letzten Jahren wegen dem Kino viel zu selten zu Gesicht bekommen hatte. Fehlte ihm da was?
Die Stimme aus dem Zeitungsarchiv unterbrach seinen Gedankengang.
»Ja? Sie haben was gefunden? Okay, kleinen Moment bitte. BUCHEN!«, sagte er lautlos zu Mattie und sie verschwand aus dem Türrahmen. »Ja, gut, ich höre.« Er griff sich einen Stift und schrieb mit.
Du läufst durch den Schneematsch über das halb gefrorene Stück Erde vor deinem Wohnblock, das im Sommer noch eine zerfledderte Grasrabatte war. Während du vorsichtig die auftauenden Hundehaufen umschiffst, grübelst du darüber nach, ob ihr das Richtige tut.
Deiner Meinung nach gibt es einige Gründe, nichts zu überstürzen. Womöglich werdet ihr wieder in so ein Desaster wie in London geraten, wenn nicht in schlimmere Katastrophen.
Irgendwie wundert es dich, dass du nie den Wunsch hattest, nach Indien zu fahren. Als gäbe es gar kein reales Land dieses Namens, sondern nur Emmas Phantasiewelt, ihre verworrenen Geschichten und die Kitschfilme im Fernsehen. In der Vorstellung deiner Kindheit musstest du den Inder nie suchen. Du hast einfach die Augen zugemacht und schon stieg er aus dem Zug, in Harmsdorf. Mit einem Turban auf dem Kopf und Pluderhosen an.
Vielleicht bist du genau wie Emma ein Mensch, der sich verzweifelt an einen engen Radius klammert, um sich zu erden. Während Hinnarck, der ja nun wirklich kein Reisetyp ist und seinen norddeutschen Stammbaum bis sechzehnhundertdazumal zurückverfolgen kann, überhaupt kein Problem damit hatte, monatelang nach Marokko oder Saudi-Arabien auf Montage zu fahren. Hinnarck weiß eben, wo er hingehört.
Du erinnerst dich, wie er dir mal aus Marokko eine bestickte Jacke mitgebracht hat. Sie war dunkelrot, mit einer Kapuze und Bommeln dran. Als du sie angezogen hast, hat Emma einen Schreikrampf gekriegt und sie am nächsten Tag in die Altkleidersammlung gegeben. Ein fremdartiges Design in Verbindung mit ihrer kleinen Tochter ließ die Lügen wieder hervorkriechen.
Ebenso gut hätte sie dir Bastard auf die Brust schreiben können.
Und da wunderst du dich, dass du kein normales Verhältnis zum Reisen hast.
»Madita!« Wieso steht plötzlich Tante Charlotte vor dir?
Sie wirkt ein bisschen verloren in ihrem schicken Persianer vor deiner runtergekommenen Häuserreihe. Nebenbei fällt dir auf, dass überhaupt noch nie einer von den Harmsdorfern hier gewesen ist. Tim nicht, Hinnarck nicht und Emma sowieso nicht. Und jetzt steht da Charlotte, irgendetwas Rundes an sich gedrückt, das unter einer Plastiktüte versteckt ist. Als hätte sie geahnt, dass ihr ein paar Fragen an sie habt. Na, dann lass sie mal anfangen.
»Ich wollte dich besuchen und wissen, wie es dir ergangen ist mit der Suche nach deinem – na ja, nach Anand Kumar. Für dich – selbst gebacken.« Sie hält dir das runde Etwas entgegen.
Tut sie nur so naiv oder will sie dich aushorchen? »Eigentlich wollte ich gerade ins Reisebüro. Wir fahren nach Bombay«, sagst du vage.
»Bombay?« Ihre Überraschung wirkt echt. »Und ich dachte, du wolltest nach London!«
»Jaja, da war ich schon, aber dann haben sich einige Unklarheiten ergeben.«
Kurz entschlossen nimmst du sie am Arm und wendest dich wieder Richtung Haustür. Was hat Nick noch gesagt? Erst mal den direkten Weg versuchen. Wie aufs Stichwort kommt er plötzlich aus der Haustür geschossen und wäre fast an euch
Weitere Kostenlose Bücher