Cut
Leben zu lassen. Veränderungen sind letztlich immer lästig.
Ich suchte in dem Obstkorb nach irgendetwas, auf das ich Lust hatte. «Gibt es wirklich Menschen, die so ein Zeug essen?» Mir wäre eine Tüte Donuts lieber gewesen. «Spinner», murmelte ich und berichtete dann Neil, dass der Korb ein Geschenk von Margaret Hazes Kanzlei war.
«Du bist ja auch die Superdetektivin», brummte er.
Heute würde es wieder nicht leicht werden mit ihm, dachte ich. Neil konnte manchmal, nun ja, ein ziemlich launisches kleines Arschloch sein. Aber irgendwie hatte ich wohl immer etwas für kleine Arschlöcher übriggehabt.
Als ich ihn schniefen hörte, fragte ich: «Erkältet?»
Er drehte sich auf seinem Stuhl um. Seine Augen sahen rot aus. «Michael Jackson ist gestorben», sagte er.
«Was? Wie? Mein Gott!»
Neil zuckte mit den Achseln und drehte sich wieder zu seinem Computer. «Ich glaube, ihn haben einfach die Kräfte verlassen.»
Ich zog mich in mein Büro zurück. Jetzt verstand ich, warum die Menschen, die den Anschlag auf Kennedy erlebt hatten oder die Explosion der Challenger oder die Todesschüsse auf John Lennon, von einem einschneidenden Ereignis sprachen. Wenn unsere Stars zu existieren aufhören, scheint uns ein bisschen der Boden unter den Füßen verlorenzugehen. Michael Jackson, dachte ich traurig, war doch unsterblich, ausunserem Leben nicht wegzudenken. Eine Berühmtheit schon, als ich noch nicht sprechen konnte.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, nahm das Telefon und lauschte dem pulsierenden Wählton. Die Mailbox war voll. Neil nimmt keine Nachrichten entgegen. Anrufe, die ihn nicht interessieren, leitet er einfach an meine Mailbox weiter.
Die meisten Nachrichten stammten von Klienten, doch dann hörte ich Rausers Stimme. Sie klang so angespannt, als würde er gleich platzen, und da fiel mir ein, dass mein Handy nicht mehr aufgeladen war. Ich rief ihn sofort zurück.
Die Zeitung
Atlanta Journal-Constitution
hatte vom Mörder eine Kopie des ersten Briefes erhalten, in dem der Mord an Lei Koto beschrieben wurde, und man hatte beschlossen, ihn ohne Rücksicht auf die Ermittlung oder die Familie des Opfers fast ungekürzt zu veröffentlichen. Rauser war wütend und sauer, weil die Angehörigen nun diesen kalten Bericht des Mordes lesen konnten, außerdem befürchtete er, dass die öffentliche Aufmerksamkeit den Mörder nur noch mehr motivieren und den Ermittlungen schaden würde. «Und ich habe den Bürgermeister und den Polizeichef am Hals», klagte er wütend.
Wann würde der zweite Brief veröffentlicht werden, der über David? Rauser sagte mir, er habe alles versucht, um den zweiten Brief an die Presse weiterzugeben, doch der Polizeichef Connor und der Bürgermeister hatten sich rundweg geweigert. Sie fürchteten alle, mit Haut und Haaren gefressen zu werden, sollte es der Polizei nicht gelingen, David aufgrund der Hinweise zu finden.
Ich besorgte mir die Morgenzeitung und faltete sie auf meinem Schreibtisch auf. WUNSCHKNOCHEN - MÖRDER VERSPOTTET DIE POLIZEI lautete die Schlagzeile auf der Titelseite. Die Zeitung hatte ihm einen grausigen Namen gegeben, indem sie sich auf seine eigenen Worte bezog.
Das Letzte, was sie hörte, abgesehen von ihrem eigenen Wimmern, war das Klicken meiner Kamera und das leise Knacken ihres Genicks, als würde ein Wunschknochen entzweibrechen.
Ein Schauer lief mir über den Rücken. Kein Wunder, dass Rauser stinksauer war. Jetzt nahm der Druck von seinen Vorgesetzten noch zu. Bei jedem Schritt würde er nun ihre Reaktion im Hinterkopf haben. Wenn der Mörder wieder zuschlug, würde Rauser den Kopf dafür hinhalten müssen. Und der Mörder
würde
wieder zuschlagen. Im Moment genoss er es wahrscheinlich, nicht nur in der Stadt, sondern im ganzen Land in aller Munde zu sein. Für jemanden wie ihn ist Berühmtheit ein Aphrodisiakum.
Würde er erneut schreiben, um die Polizei zu verspotten und seine Überlegenheit darzustellen? Dieser Täter liebt das Spiel, dachte ich, und je mehr er spielt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er einen Fehler macht.
Ich nahm einen Notizblock aus der Schreibtischschublade und setzte eine Liste auf.
Vorsichtsmaßnahmen, vorherige Überwachung, Ermittlung der Tagesabläufe – Opfer sind allein.
Taten erfolgen am helllichten Tag. Risiko der Überraschung.
Tatorte: Zimmer im Wohnheim beim ersten Opfer, bei den 3 anderen Wohnung der Opfer, alle im Erdgeschoss.
Methode: Kein gewaltsamer Zutritt, keine Zeugen. Wählt
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