Cut
gewusst, in welcher Gefahr sie sich befanden, welchem Menschen sie ausgeliefert waren, sie hatten die Angst erlebt, die dieses Wissen in ihnen auslöste, und sie waren nackt mit gespreizten Beinen zurückgelassen worden. Bei Brooks war es anders, er war etwas Besonderes. Der Mörder hatte nicht gewollt, dass er es kommen sah. Weshalb? Ich teilte meine Gedanken Rauser mit, und wir schwiegen nachdenklich.
«Die Aufzeichnungen der Kameras in der Lobby zeigen, dass Brooks allein eingecheckt hat», sagte Rauser schließlich. «Es gibt keine weiteren Überwachungskameras. Das Apartment nebenan war leer, und da es pro Gebäude immer nur zwei Apartments gibt, war niemand in der Nähe. Wenn mir jemand ein Messer in die Brust schiebt, schreie ich wie der Teufel. Das Hotel war eine gute Wahl.»
«Er hat die Luftröhre durchtrennt», erklärte ich ihm. «Es kam keine Luft mehr an die Stimmbänder. Unmöglich, da einen Ton von sich zu geben. Der Tod tritt auf der Stelle ein. Es hätte keine Rolle gespielt, wo sie waren. Es ist ein völlig lautloses Töten.»
«Das ist verdammt gruselig, Keye», seufzte Rauser. «Mein Gott. Ich glaube, ich möchte mit keinem Menschen zu tun haben, der sich mit so einem Scheiß auskennt.»
«Hey, ich habe dich nur aufgeklärt», entgegnete ich.
«Wir haben übrigens ein bisschen in Brooks’ Privatleben herumgeschnüffelt. Er war ein Weiberheld und hat offenbar alles flachgelegt, was sich bewegt. Allerdings gibt es keine Hinweise darauf, dass er bisexuell war, aber das verbergen die meisten Typen sowieso.» Ich konnte die Anspannung in seiner Stimme hören. Und die Erschöpfung. «Um ehrlich zusein, ich verstehe jetzt kein bisschen besser, wie er seine Opfer auswählt.»
«Etwas kann ich dir mit Sicherheit sagen», antwortete ich. «Der Mörder hatte Gefühle für Brooks, und ich glaube, dass es schon vorher irgendeine Verbindung gegeben hat. Das ist eine Menge, Rauser. Du hast jetzt vielleicht ein Opfer, in dessen Leben der Mörder eine Rolle gespielt hat. Wie hat er es in seinem ersten Brief genannt? Der engere Kreis?»
«Du glaubst also, dass er jetzt anfängt, Verkehr mit den Opfern zu haben. Meinst du, das war das Besondere an Brooks?»
«Ja. Ich glaube, er kannte ihn, und ich glaube, dass Brooks eine wichtige Person symbolisierte. Eine, die er liebte und die er begehrte.»
«Verdammte Scheiße», sagte Rauser. «Was habe ich nur in diesem Job verloren?»
15
I ch klingelte an der Tür des Hauses unweit der 10 t h Avenue mitten in der Stadt. Es sah nicht wie ein Frauenhaus aus. Ich war über die Jahre unzählige Male daran vorbeigefahren oder -gegangen . Es lag nur zehn Minuten von meiner Wohnung im Georgian entfernt und unterschied sich in nichts von den anderen alten viktorianischen Gebäuden, die es überall in Atlanta gab.
Ich hatte für meine Kurzreise nach Denver gepackt und den restlichen Vormittag damit zugebracht, nach William LaBrecque zu suchen. Ich war zu dem Haus in Candler Park gefahren, in dem er einmal mit seiner russischen Frau Darya gewohnt hatte. Eine Nachbarin sagte mir, es stehe seit einer Woche leer, weil Darya und der Junge verschwunden waren, sobald sie erfahren hatten, dass LaBrecque gegen Kaution freigekommen war. Darya wusste, dass er zu ihr zurückkommen würde, sagte die Nachbarin, denn das hatte er immer getan. Daraufhin spürte ich seine Eltern auf und begriff schnell, woher der gute Billy seine groben Manieren und seinen Hass hatte. Ich hatte nicht erwartet, dass sie mir dabei helfen würden, ihren Sohn ins Gefängnis zu bringen, doch auf ihre abgrundtiefe Niederträchtigkeit war ich nicht vorbereitet. In den Auslassungen über ihre Schwiegertochter tauchten die Worte
Hure
und
Schlampe
so häufig auf, dass es wohl ihre Lieblingsworte waren. Wahrscheinlich nannte LaBrecque seine Frau so,wenn er sie schlug. Am liebsten hätte ich ihnen erzählt, wie er an jenem Morgen in der Kirche mit mir umgegangen war, aber ich ließ es bleiben. Ich erfuhr, dass LaBrecque seine Frau in Deutschland kennengelernt hatte, als er während des letzten Jahres seiner Armeezeit auf einer amerikanischen Militärbasis im Krankenhaus lag. Einen Helden nannten seine Eltern ihn.
Und was für einer
. Er hatte Darya über das Internet gefunden, auf einer dieser Webseiten für Bräute aus dem Osten. Sie war zu einem Treffen nach Deutschland gereist, die beiden hatten sich verliebt und waren vor sieben Jahren gemeinsam in die Vereinigten Staaten gekommen. Ich wusste ein paar
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