Cut
klaffte ein kreisrundes Loch. Eine Kugel war zwischen unseren Köpfen hindurchgejagt! Wir sahen uns kurz an, dann trat Neil aufs Gaspedal, schoss auf den Monroe Drive, quer durch vier Verkehrsspuren hindurch, und raste, umgeben von plärrenden Hupen und quietschenden Reifen und hochgereckten Mittelfingern, über den Parkplatz der Ansley Mall. Er rumpelte über sechs Fahrbahnschwellen, brachte uns auf die Piedmont und blieb dann ein paar Blocks hinter der 14 t h Street in der Nähe des Parks stehen.
Ich glaube, wir brachten mindestens eine Minute keinen Ton hervor. Betäubt starrten wir beide nach vorn auf die Windschutzscheibe, wo sich das Loch wie ein Spinnengewebe ausbreitete.
«Gottverdammt», stieß Neil schließlich hervor.
Ich befühlte die anschwellende Beule an meinem Hinterkopf. «Das war eine brandneue Windschutzscheibe», sagte ich.
Neil schien das alles sehr langsam zu verarbeiten. Der Wagen stand still. Mein Telefon klingelte. Auf dem Display erkannte ich die Nummer von Tyrones Kautionsbüro.
«Wie sieht’s aus?», fragte er.
«Also, ich weiß nicht, ob du’s mir glaubst.»
«Probier’s aus.»
«Na schön. Ich wurde gerade von einem Kaffeebecher getroffen. Eine Kugel hat meine Windschutzscheibe durchlöchert, und Neil sieht aus, als müsste er gleich kotzen.»
«Okaaay», sagte Tyrone. «Dann wird der nächste Auftrag eher ein Kinderspiel werden. Der Typ hat gegen ein Unterlassungsurteil verstoßen, wurde hopsgenommen, wir haben die Kaution gestellt, und dann ist er nicht vor Gericht erschienen. Brauchst du ein bisschen Kohle?»
«Zivilgericht oder Strafgericht?»
Tyrone zögerte. Kein gutes Zeichen. «Strafgericht.»
«Also war das nicht nur eine Ordnungswidrigkeit. Gab’s eine Tätlichkeit?»
«Die Exfrau», sagte Tyrone. «Er hat sie übel zugerichtet. Schnapp ihn dir und sorge dafür, dass er sich auf dem Weg zum Revier zufällig den Kopf stößt oder so.»
«Wie lautet der Name?»
«Klingt so ein bisschen schwuchtelig französisch», meinte Tyrone.
«Doch nicht LaBrecque, oder?», fragte ich und rieb meinen Kopf. «William LaBrecque?»
«Genau, das ist er. Billy LaBrecque.»
14
V or achtundvierzig Stunden war David Brooks tot in einem blutverschmierten Hotelzimmer gefunden worden, und das Fernsehen hatte vom zweiten Brief an Rauser berichtet. Eine Woche war seit dem ersten Brief vergangen, und noch immer war die Bedrohung da, noch immer lief der Mörder frei herum. Zu allem Überfluss litt Atlanta seit zwei Wochen unter einer Hitzewelle. Wie immer, wenn in großen Städten das Thermometer nach oben schießt, stieg auch hier die Verbrechensrate an. Die Nachrichten verkündeten eine Schreckensmeldung nach der anderen.
Besitzer eines Lebensmittelladens in der Innenstadt erschossen … Ein weiterer Fall von Rowdytum auf den Autobahnen Atlantas … höchster Smogalarm.
Jeder fühlte sich bedroht. Atlantas Straßen waren nicht mehr sicher. Es herrschte eine äußerst angespannte Atmosphäre.
In meinem Büro stapelte sich die Arbeit. Mein Schreibtisch war ein einziges Durcheinander. Ich konnte keinen Beleg darüber finden, dass ich die Stromrechnung bezahlt hatte, wartete seit Tagen auf eine Banküberweisung und hatte schon wochenlang keine Rechnungen mehr ausgestellt. Ich hasse das Schreiben von Rechnungen und tue es nur, weil ich muss. Das Geschäft florierte und schien ganz unabhängig von mir Erfolg zu haben.
In Wahrheit war ich nie mit Leib und Seele dabei. Seit derSache mit Dan und seitdem ich gefeuert und abstinent geworden war, tat ich nichts mehr mit Leib und Seele. Der Mist, den ich als Alkoholikerin angerichtet hatte, war großenteils bereinigt worden, aber ich war immer noch nicht ganz anwesend und fühlte mich emotional abgestumpft. Das Leben lief irgendwie an mir vorbei, es gab nichts, was mich wirklich berührte. Wann ich mich eingeigelt hatte und vor allem warum, wusste ich nicht genau, aber in der vergangenen Nacht, als ich mit pochendem Herzen zum Ort des Mordes an Brooks gefahren war und das Zimmer betreten hatte, in dem der Mord vor so kurzer Zeit geschehen war, dass die Leiche noch warm und der Wein noch gekühlt war, da hatte ich mich wieder lebendig gefühlt. Etwas gespürt. Dass es eine Leiche braucht, um mich auf Touren zu bringen, ist makaber, ich weiß. Aber auch Dan lag fünf Jahre wie eine Leiche unter mir, und ich hatte trotzdem meistens einen Orgasmus. Der Fairness halber muss ich zugeben, dass er ab und zu die Hüfte bewegte, um der Pflicht
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