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Cut

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Titel: Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Kyle Williams
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zurückgerufen haben.»
    «Ich will, dass Sie ihn finden», sagte Darya. Obwohl sie durch ihre geschwollenen Lippen undeutlich sprach, erkannte ich ihren russischen Akzent. Ihr Gesicht war mit dunkelroten Flecken übersät, sodass ich mich tatsächlich zwingen musste,ihr in die Augen zu schauen. Sie hatte genug Missachtung erlebt. «Ich glaube, ich weiß, wo er ist. In Gwinnett County gibt es in der Nähe von Lawrenceville einen See mit einer Hütte. Sie gehört einem Freund von ihm, der wohlhabend ist und viel reist. Billy ist manchmal dort. Er angelt gern.»
    Der Junge hob seinen Kopf zum ersten Mal, als ich aufstand. «Werden Sie meinen Daddy davon abhalten, uns zu finden?»
    Seine dunklen Augen ließen mich nicht mehr los. «Willst du das?», fragte ich sanft.
    Er wandte sich wieder seinem Spielzeug zu. Ich dachte schon, dass er zu schüchtern sei, um zu antworten, als sein Stimmchen wieder erklang. «Ja», sagte er.
    «Dann musst du dir keine Sorgen machen. Du und deine Mutter, ihr seid hier sicher.»
    Ich wartete, doch diesmal sagte er nichts mehr.
    Darya strich ihm über den Kopf, dann bückte sie sich und küsste ihn.
    Ich ging mit dem Gefühl, ein Loch im Herzen zu haben.
     
    K urz nach der Mittagszeit bog ich in Gwinnett County von der Webb Gin House Road in einen Feldweg ab. In Atlanta gibt es ein Sprichwort: Bleib innerhalb der Stadtgrenzen, denn da bist du sicher. Natürlich nicht vor Überfällen und Morden und Diebstählen. Gemeint sind die religiösen Spinner und Dorftrottel, die nur einmal die Woche ihren Overall wechseln. Die Interstate 285, der Autobahnring um die Stadt, gibt uns ein trügerisches Gefühl von Sicherheit. Wir bleiben drin. Sie bleiben draußen. Diese Regelung ist für alle die beste. Wer nicht weiß, blond und gläubig ist, würde lieber durch gequirlte Scheiße waten, als sich rauszuwagen. Und dennochwar ich nun hier und suchte nach jenem Billy, der mich schon einmal Schlitzauge genannt hatte.
    Der Himmel war grau geworden, und ein beständiger Nieselregen hatte eingesetzt. Nebel stieg vom See auf, als ich auf die Hütte zufuhr. Meine Windschutzscheibe war schon beschlagen. Die Mittagshitze war schier unerträglich. Ich griff unter den Sitz, nahm meine Glock und legte sie in meinen Schoß. LaBrecque sollte mit mir nicht das tun, was er mit seiner Frau getan hatte. Ich musste nur an Daryas Gesicht denken, an diese lebensmüden haselnussbraunen Augen hinter der geschwollenen blauen und roten Maske, und schon stieg die Wut in mir auf.
    Der Feldweg gefiel mir nicht. Er war mindestens einen Kilometer lang und hob und senkte sich ständig, sodass nicht nur ich immer wieder die Hütte sehen, sondern auch jeder in der Hütte auf mich aufmerksam werden konnte. Doch mittlerweile hatte es heftig zu regnen begonnen, wie es häufig geschieht, wenn eine Kaltfront auf die tropische Hitze trifft, die im Sommer über uns hängt, und ich hoffte, der Regen würde die Sicht einschränken und das laute Knirschen des Schotters unter meinen Reifen dämpfen. Nach einer weiteren Erhebung und einer weiteren Kurve war ich der Hütte schon gefährlich nah gekommen. Ich beschloss, anzuhalten und die restlichen paar hundert Meter zu Fuß zu gehen. Ich parkte den Wagen am Rand des Feldweges und wischte die Windschutzscheibe mit einer Serviette von Krystal aus dem Handschuhfach sauber. Ich steckte mir die Glock hinten in den Hosenbund und zog eine graue kurze Kapuzenjacke an, die mich an Tagen wie diesen tarnte, meine Beweglichkeit aber nicht einschränkte. Als ich den matschigen Weg entlangging, wurde der Wind stärker. Der Regen prasselte auf mich herunter. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich über dem See einen Blitz, und ich tat, wasich seit der Kindheit mache. Ich begann zu zählen. Eins, zwei, zweieinhalb, und dann kam der Knall. Mit dieser Taktik wollte mir meine Mutter früher die Angst vor dem Donner nehmen. Ich habe mich schon durch viele Stürme des Südens gezählt.
    Tiefe Furchen zogen sich durch die matschige rote Lehmerde. Jemand musste vor kurzem hier gefahren sein, vielleicht war es LaBrecque. Aus der Akte wusste ich, dass er einen dunkelblauen Dakota Pick-up fuhr, aber ob die Furchen von seinen Reifen stammten, war bei dem Regen nicht zu erkennen.
    Nachdem ich einen Hügel hinabgegangen war und um eine Biegung kam, konnte ich die Hütte zum ersten Mal richtig sehen. Sie war ziegelrot und größer, als ich gedacht hatte, offenbar handelte es sich um eines dieser Feriendomizile, die von den

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