Cut
zu missbilligen und achtet darauf, dass ich keinen Zutritt zum Fitnessraum, zum Medienraum und zum Pool habe. Wahrscheinlich rührt seine Feindseligkeit aus der Zeit, als die Handwerker ständig durch die herrschaftliche Lobby des Georgian trampelten. Doch die Manager der Nachtschicht lassen mir alle Freiheiten. Hin und wieder springen Rauser und ich um Mitternacht in den Pool, oder wir sitzen mit angezogenen Knien und redend auf dem Dach mit Blick auf die Skyline, die einem nachts, wenn die ganze Stadt erleuchtet ist,den Atem raubt. Das Georgian ist ein guter Rückzugsort an Tagen wie heute, wenn ich von allen Seiten angegriffen werde und mich räche, indem ich einem geistig behinderten Mann ein Knie gegen die Stirn ramme und das Aushängeschild der Ermittlungsgruppe einer Mordserie mit Haschkeksen füttere. Mein Gott, was hatte ich mir nur dabei gedacht? Charlie hatte seine Prügel verdient, aber die Kekse … tja, das war ein unverzeihlicher Fehler. Und ich hatte mich noch so über Dobbs’ Selbstgerechtigkeit aufgeregt.
Es muss an dem Druck liegen, dachte ich. Erst vor drei Tagen hatte ich eine E-Mail des Wunschknochen-Mörders erhalten und meinen Impala kaputt gefahren. Und gestern hatten zwei Dutzend sehr teure weiße Rosen ausgesprochen beängstigende Nachrichten übermittelt.
Ich habe dafür gesorgt, dass du einen Unfall baust. Ich habe dafür gesorgt, dass deine Akte in die Hände eines Journalisten gelangt ist. Und ich weiß, wo du jetzt bist.
Das musste man erst einmal verdauen. Und dann musste ich Dobbs meine Unterlagen geben, die Opferskizzen, an denen ich hart gearbeitet hatte, und mir seine abfällige Meinung über mein vorläufiges Profil anhören. Was für ein Wichser! Plötzlich fühlte ich mich nicht mehr so schlecht wegen der Haschkekse.
Ich brauchte einen Drink. Einen Wodka Martini oder einen Dewar’s mit Soda. Nach diesem Tag hatte ich es mir verdient. Nur einen einzigen. Wo war das Problem? Stimmt es, was sie einem sagen, dass man niemals mehr nur einen einzigen Drink trinken konnte? Nie wieder? Ich wollte das nicht glauben. Jedenfalls wollte ich in diesem Moment lieber glauben, dass ich irgendwann wieder einen Wodka würde trinken können und mich im Griff haben würde. Mein trügerisches Abhängigenhirn suchte nach Schlupflöchern. Ich beschloss, Diane anzurufen, die mich beim Entzug standhaft unterstützthatte. Diane war eine Anhängerin aller Anonymen Gruppen. Ihr hatten die Meetings so gut gefallen, dass sie in der Folge überall hingegangen war, von den Anonymen Schuldnern zu den Anonymen Kaufsüchtigen bis zu den Anonymen Sexaholikern. Ich begann mir ernsthaft Sorgen um sie zu machen, als sie mich eines Tages fragte, ob ich sie zu einem Treffen der Anonymen Co-Abhängigen begleitete, weil sie nicht allein gehen wollte.
Ich griff nach dem Telefon und rief sie an.
Ich erzählte ihr von meinem heftigen Verlangen nach einem Drink, das wieder intensiver geworden war. Ich erzählte ihr, dass ich am liebsten runtergehen und mich in die Bar setzen würde, dass ich lachen und mich wieder frei fühlen wollte. Sie erinnerte mich ruhig, aber sehr anschaulich daran, was diese Freiheit bedeutet und wie ich an der Flasche gehangen hatte. Nur für den Fall, dass ich sie nicht richtig verstanden hatte, ging sie dann dazu über, mir ein paar eher unrühmliche Szenen in Erinnerung zu rufen – sie spielten in Toiletten und auf Badezimmerböden, sie erzählten davon, aus dem Fenster eines Autos zu hängen und zu heulen und zusammenzubrechen und auszuflippen. Schließlich bekniete sie mich, Ruhe und Gelassenheit zu bewahren. Mit einem Mal war der Gedanke an einen Drink nicht mehr reizvoll. Ich dankte ihr, und wir verabredeten uns für die nächste Woche zum Mittagessen. Nachdem ich aufgelegt hatte, fiel mir ein, dass ich sie gar nicht nach dem neuen Mann in ihrem Leben gefragt hatte. Sie hatte beim Essen begonnen, von ihm zu erzählen, und war dann durch Dobbs unterbrochen worden. Vier Cosmos und einen Fernsehbericht später hatte keiner mehr Lust gehabt, über irgendwas zu reden. Ich bin eine schlechte Freundin, dachte ich. Immer geht es nur um mich.
Mein Telefon klingelte. «Mir ist da gerade was eingefallen»,sagte Neil. «Neulich kam Charlie rein und meinte, sein Computer wäre kaputt, er würde aber gerne eine E-Mail an seine Familie schicken. Er fragte, ob er unseren benutzen könnte. Gehört ja nicht viel dazu, eine Mail zu verschicken, oder? Ich dachte mir jedenfalls nichts dabei. Wusstest
Weitere Kostenlose Bücher