Cyber City
schlenderte zum Fenster hinüber. Es stand offen, doch nicht der kleinste Wind ging. Sie hätte auch vor einer festen Mauer statt vor dem Insektengitter stehen können. Jetzt erst bemerkte sie, daß in der Wohnung über ihnen ein lautstarker Streit stattfand.
Als Durham ihr damals das Projekt angetragen hatte, hatte sie einige Male eher spielerisch überlegt, ob sie durch ihre Mitarbeit nicht einfach aus dem Spleen eines überspannten, exzentrischen Individuums Kapital schlug. Jetzt wußte sie es besser. Gewiß mußte sie einem Menschen gegenüber keine Abbitte tun, der sein Hobby noch fanatischer betrieb als sie selbst. Es ging nicht mehr darum, ob ein Spinner mit mehr Geld als Verstand seine Träume von künstlich geschaffenem Leben verwirklichen wollte – ein ehemaliger Insasse einer Klapsmühle wollte allen Ernstes dreißig Millionen aus keinem anderen Grund ausgeben als zu ›beweisen‹, daß er nicht verrückt war. Und außerdem wollte er die Zweitversionen seiner Geldgeber in ein kybernetisches Paradies führen, das allerhöchstens zwanzig Sekunden Bestand haben würde. Von diesem Mann Geld zu nehmen – war das nicht so, als würde sie an den Giftfässern für das Jonestown-Massaker mitverdienen?
Durham sagte: »Wenn Sie die Arbeit an den Urkeimen für Lambert nicht fortführen wollen, wie soll es dann weitergehen? Es gibt sonst niemanden, der auch nur andeutungsweise versteht, worum es geht.«
Maria warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. »Kommen Sie mir nicht mit Schmeicheleien. Und hören Sie auf, sich etwas einzureden, was meine Urkeime betrifft. Sie wollten vorläufige Resultate. Sie sollten die Durchführbarkeit Ihres Plans belegen – und mehr werden Sie nicht bekommen, auch wenn ich die Arbeit zu Ende bringe. Wenn Sie damit gerechnet haben, daß die Bewohner von Lambert eines Tages den aufrechten Gang üben und schließlich mit Ihnen sprechen werden … das kann ich Ihnen nicht garantieren, selbst wenn das Modell in Millionen Durchgängen immer neu erprobt wird. Sie wollten Autoversum-Lebewesen, keine Simulation der echten Biochemie dieser Welt. Immerhin hat sich gezeigt, daß intelligentes Leben innerhalb des Systems möglich ist … vermutlich läßt es sich mit der vorhandenen Rechnerkapazität sogar realisieren.«
Durham blieb ruhig und sachlich: »A. lamberti schien mir der einfachste und sicherste Weg zu sein. Ein Organismus aus unserer Welt – bis hinunter auf die subatomare Ebene modelliert – ergäbe ein viel zu umfangreiches Programm, um es vorab auf den vorhandenen Computern zu testen. Es wäre zu spät, um mich noch anders zu entscheiden und einen anderen Weg zu versuchen, wenn ich erst im TVC-Universum bin und feststelle, daß es nicht funktioniert – mit jeder Menge Literatur und Gutachten, aber ohne jede Erfahrung auf diesem Gebiet.«
Maria fröstelte plötzlich, als wäre ein eisiger Wind durch das Fenster gefegt. Jedesmal, wenn sie glaubte, sich mit Durhams unerschütterlichem Festhalten an seiner Wahnidee abgefunden zu haben, überfiel er sie mit einer neuen Wendung der Geschichte. Sie fühlte sich rettungslos ausgeliefert und überfahren.
Sie sagte: »Nun, vielleicht wird sich das Autoversum-Leben letztlich ebenfalls als nutzlos herausstellen. Vielleicht werden Sie sich einer Population von A. hydrophila gegenübersehen, die eine unbrauchbare Mutation nach der anderen produziert, Generation um Generation, ohne daß Sie die kleinste Möglichkeit zum Eingreifen haben.«
Es schien, als wollte Durham etwas sagen, aber dann überlegte er es sich anders. Maria fröstelte erneut. Sie konnte sich nicht erklären warum, aber dann begriff sie. Sie funkelte ihn an, die Augen starr und dunkel vor Wut, die Stirn in zornigen Falten. Sie hätte nicht empörter sein können, wenn die Frage tatsächlich über seine Lippen gekommen wäre.
»Ich werde nicht dort sein, um etwas für Sie in Ordnung zu bringen ! «
Durham besaß Anstand genug, um wenigstens eingeschüchtert auszusehen – für einen Augenblick. Doch statt zu leugnen, daß er daran gedacht hatte, sagte er: »Wenn Sie nicht an die Urstaub-Theorie glauben – was macht es für einen Unterschied, ob ein Modell von Ihnen in unserer Garten-Eden-Konfiguration existiert?«
»Ich will nicht, daß eine Kopie von mir erwacht, die genau weiß, daß sie nach ein paar subjektiven Sekunden sterben muß!«
»Wer sagte denn etwas von ›Erwachen‹? Das Betreiben einer Kopie in einem simulierten TVC-Universum ist ziemlich aufwendig. Wir
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