Cyber City
zu vollziehen. Er hatte Durham einen Klon geliefert, um ihm die entfernte Chance eines weiteren Lebens nach dem Tod zu geben, in einer ungewissen Welt – ohne daß der Klon wußte, daß er nicht aus Fleisch und Blut war.
Und wenn auch die ganze Geschichte ein Fehler gewesen sein sollte – ungeschehen konnte er nichts mehr machen. Jetzt nicht mehr.
Zweiter Teil
Cyber-City, die permutierende Stadt
23
Maria erwachte aus einem traumlosen Schlaf. Sie fühlte sich frisch und ausgeruht, als sie die Augen öffnete und sich umblickte. Das Bett und das Zimmer erschienen ihr fremd; beide waren groß und luxuriös. Alles wirkte auf eigenartige Weise unberührt, nicht durch menschlichen Gebrauch verschmutzt: wie ein teures Hotelzimmer. Sie war verwirrt, aber eigenartigerweise nicht beunruhigt. Sicher würde sich bald eine Erklärung finden. Sie trug ein Nachthemd, das sie noch nie im Leben gesehen hatte.
Plötzlich erinnerte sie sich an die Landau-Klinik. Sie hatte mit den Technikern gescherzt. Den Marker-Stift ausgeliehen. Dann die Besichtigung der Aufwachzimmer. Der Anästhesist, der sie zum Rückwärtszählen aufgefordert hatte.
Sie zog ihre Hände unter der Bettdecke hervor. Die linke Handfläche war leer! Die tröstende Nachricht, die sie hineingeschrieben hatte, war verschwunden. Das Blut wich aus ihrem Gesicht.
Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, betrat Durham das Zimmer. Im ersten Augenblick war sie zu schockiert, um auch nur einen Ton hervorzubringen – dann schrie sie ihn an: »Was haben Sie mit mir gemacht? Ich bin die Kopie, geben Sie es zu! Sie betreiben meine Kopie!« Gefangen in der START-Software, mit zwei Minuten Lebenserwartung?
Leise antwortete Durham: »Ja, Sie sind die Kopie.«
»Warum? Warum haben Sie das getan? Wieso habe ich das nur zugelassen?« Sie starrte ihn wild an, wartete verzweifelt auf eine Antwort, mehr als alles andere wütend über den Gedanken, daß sie beide aufhören könnten zu existieren, bevor er mit seiner Erklärung fertig wäre, bevor sie verstehen würde, wie er all ihre ausgeklügelten Sicherheitsmaßnahmen überbrückt hatte. Aber Durham stand nur schweigend an der Tür, blickte sie halb belustigt, halb verlegen an – als hätte er eine Reaktion wie diese erwartet, aber könnte nun nicht recht glauben, daß es tatsächlich so gekommen war.
Schließlich sagte sie: »Das ist nicht mehr der START, oder? Das hier ist später. Sie sind nicht diese Version. Sie haben mich gestohlen, und Sie lassen mich später laufen.«
»Ich habe Sie nicht gestohlen.« Er zögerte, dann fügte er vorsichtig hinzu: »Ich glaube, Sie wissen ganz genau, wo Sie sind. Ich habe mit mir gerungen, ob ich Sie wecken sollte – aber ich mußte es tun. Es passiert einfach zuviel hier. Sie müssen es selbst sehen, Sie sollten daran teilhaben; ich konnte Sie nicht einfach alles verschlafen lassen. Das wäre unverzeihlich gewesen.«
Maria war gleichgültig, was er sagte. »Sie haben meine Scan-Datei nach dem Start behalten. Sie haben sie irgendwie dupliziert.«
»Nein. Der einzige Ort, an dem Ihre Scan-Datei je gewesen ist, war die Garten-Eden-Konfiguration. Wie ausgemacht. Und jetzt sind Sie in Cyber-City, der permutierenden Stadt, im TCV-Universum – heute unter dem Namen Elysium bekannt. Es existiert aus sich und nur nach seinen eigenen Gesetzen.«
Maria setzte sich langsam im Bett auf und zog die Knie an ihre Brust. Sie versuchte, ihre Lage einzuschätzen, ohne in Panik auszubrechen, ohne ohnmächtig zu werden. Durham war wahnsinnig, unberechenbar. Gefährlich. Wann würde das endlich in ihren verdammten Schädel gehen? Wäre er noch aus Fleisch und Blut, hätte sie ihm wahrscheinlich den verdammten Hals umdrehen können, wenn sie sich gegen ihn wehren müßte. Aber wenn er diese Umgebung kontrollierte, dann war sie machtlos. Er konnte sie vergewaltigen, foltern, quälen, was immer er wollte. Allein die Idee, ihn anzugreifen, erschien ihr lächerlich – aber sie konnte sich auch nicht darauf verlassen, daß die Art, wie er sie in der Vergangenheit behandelt hatte, ihr irgendwelche Garantien bot. Er war ein Lügner und Entführer. Sie wußte eigentlich nichts von ihm.
Aber jetzt im Augenblick benahm er sich vernünftig und zivilisiert wie immer; er schien an seiner Scharade Freude zu haben und wollte sie aufrechterhalten. Sie hatte Angst, seine Fassade der Gastfreundschaft auf die Probe zu stellen – aber sie zwang sich, mit gleichgültiger Stimme zu sagen: »Ich möchte
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