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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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hatte, während er hier arbeitete). Der Zettel sah ganz unauffällig aus – mit Ausnahme der auf und ab hüpfenden Buchstaben, die seine Aufmerksamkeit erregten, sobald er sie im Blickfeld hatte. Er brummte: »Ich bin hier vollkommen zufrieden. Es ist mir egal, was sie in der Stadt machen.«
    Die Werkstatt stieß an ein Warenlager voller Tischbeine. Genau 162 329 bis jetzt. Peer konnte sich nichts Befriedigenderes vorstellen, als die Zweihunderttausender-Marke zu erreichen – obwohl er wußte, daß er wahrscheinlich seine Meinung ändern und die Werkstatt aufgeben würde, bevor es soweit war. Sein Exo-Selbst erlegte ihm in unregelmäßigen Abständen neue Berufe auf, und der nächste war – statistisch gesehen – bereits überfällig. Unmittelbar bevor er damit begonnen hatte, Holz zu verarbeiten, hatte er leidenschaftlich die mathematischen Abhandlungen in der zentralen Bibliothek studiert. Er hatte die gesamte Lernsoftware laufen gelassen und anschließend selbst einige wichtige neue Beiträge zur Gruppentheorie geleistet – ohne sich durch die Tatsache stören zu lassen, daß die elysianischen Mathematiker seine Ergebnisse niemals zu Gesicht bekommen würden. Davor hatte er komische Opern geschrieben, mehr als dreihundert Stück, und dazu Librettos in italienisch, französisch und englisch, und er hatte die meisten sogar aufgeführt, mit Marionettenschauspielern und Marionettenzuschauern. Davor hatte er sechsundsiebzig Jahre lang geduldig die Struktur und Biochemie des menschlichen Gehirns erforscht; gegen Ende hatte er zu seiner allergrößten Befriedigung erstmals begriffen, wie das Bewußtsein entstand. Jede einzelne dieser Beschäftigungen war aufs äußerste fesselnd und, solange sie gedauert hatte, befriedigend gewesen. Er war sogar früher einmal an den Elysianern interessiert gewesen.
    Nicht mehr heute. Er zog es vor, an seine Tischbeine zu denken.
    Er interessierte sich noch immer für Kate. Er hatte diese Tatsache als eine der wenigen unveränderlichen Größen festgelegt. Aber er hatte sie in der letzten Zeit vernachlässigt – sie hatten sich seit fast einer Dekade nicht gesehen.
    Wehmütig blickte er sich in seiner Werkstatt um. Seine Augen blieben auf einem Stapel Holz in der Ecke hängen, doch dann bestärkte er sich in seinem Entschluß. Die Freuden der Drehbank lockten, aber Liebe bedeutete manchmal, Opfer zu bringen.
    Peer zog seinen Kittel aus, streckte die Arme und fiel nach hinten in den Himmel über der Stadt.
    Er traf Kate, noch bevor er landen konnte. Sie kam aus dem Nichts und griff nach seiner Hand. Fast hätte sie ihm den Arm dabei ausgekugelt. Sie übertönte schreiend den Wind: »Du lebst ja doch noch! Ich hatte schon befürchtet, du hättest dich deaktiviert. Nach dem nächsten Leben unterwegs, ohne mich!« Ihr Tonfall war sarkastisch, aber nicht ohne Erleichterung. Zehn Jahre konnten noch immer eine lange Zeit sein – wenn man es zuließ.
    Peer sagte freundlich, aber bestimmt: »Du weißt, wieviel ich zu tun habe. Und wenn ich arbeite …«
    Sie lachte spöttisch. »Arbeiten? So nennst du das? Du empfindest Freude an einer Tätigkeit, die den blödesten Fabrikroboter zu Tode langweilen würde?« Ihr Haar war lang und pechschwarz, und es peitschte durch ihr Gesicht, wenn der Wind es packte – aber es verbarg immer gerade genug, um ihren Gesichtsausdruck zu verschleiern.
    »Du bist noch immer …« Das Geräusch des Windes übertönte seine Worte. Kate hatte seinen nichtphysischen Zugang versperrt. Er schrie: »Du bist noch immer Bildhauerin, oder nicht? Du müßtest das doch eigentlich verstehen. Das Holz, die Maserung, die Textur …«
    »Ich verstehe, daß du künstliche Interessen benötigst, um dir die Zeit zu vertreiben – aber du könntest vielleicht versuchen, die Parameter ein wenig sorgfältiger zu setzen!«
    »Warum sollte ich?« Es machte ihn streitlustig, daß er seine Stimme heben mußte, um den Wind zu übertönen. Er befahl seinem Exo-Selbst, den Effekt zu umgehen, und dann schrie er ruhig: »Alle paar Jahrzehnte wende ich mich neuen, zufälligen Aufgaben zu. Es ist perfekt. Wie sollte ich ein Schema wie dieses noch verbessern können? Ich klebe an nichts für ewig. Und egal wie sehr du glaubst, daß ich meine Zeit verschwende – es dauert nie länger als fünfzig oder hundert Jahre. Was macht das schon, auf Dauer gesehen?«
    »Du könntest etwas wählerischer sein.«
    »Was meinst du damit? Etwas gesellschaftlich Nützliches? Hungersnöte bekämpfen? Den

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